Religionsspecial Teil 2

Gott ist eine Frau

Im Folgenden schreibe ich über den „Gott“, so wie ich ihn sehe und empfunden habe. Für strenge Christen wird es nicht ohne Gotteslästerung gehen. Ich möchte aber meine Meinung formulieren, so wie ich denke, nicht, wie ich denken soll oder darf.

Dies ist ein Text, den ich schon lange aufgeschoben habe, weil er der Kern meiner derzeitigen Glaubenskrise ist. Ich kann mich nicht zwischen dem Christentum und dem Buddhismus entscheiden, nein ich weiß noch nichtmal, ob ich überhaupt eine Religion von diesen zu einhundert Prozent akzeptieren kann. Jede hat so seine Vor- und Nachteile. Ich bin ein freier und nachdenklicher Mensch, vielleicht atheistisch. Ich will meine eigene Meinung bilden und selbst entscheiden dürfen, an wen oder was ich glaube.

Aber der Reihe nach. Was weiß ich über Gott? In der Kirche ist er verborgene, geheimnissvolle Macht, der Mann mit Bart im Himmel. Aber vorstellen darf ich ihn mir nicht („Du sollst dir kein Gottesbild machen“, 10 Gebote) was oder wo ist er also dann?

Von verklärten Gläubigen mit Schal um den Hals wird mir erklärt, dass er überall ist und über mich wacht und Jesus sein Sohn und bla bla bla. Irgendwie interessiert mich das alles nicht. Ich habe keinen Bezug zur Bibel und auch nicht zur Kirche, noch kenne ich Leute, die stark gläubig sind und mir das Bild Gottes irgendwie vernünftig erklären könnten.

Also habe ich im Laufe der Zeit selbst Nachforschungen betrieben, mir so meine Gedanken gemacht.

In erster Linie ist Gott mir als eine Instanz in Erinnerung geblieben, die Angst und Moral verbreitet- ein schlechter Start, um gläubig zu werden. Der alte Mann mit Bart? Das ist doch die Vaterfigur! Väter braucht die moderne Gesellschaft aber nicht mehr, also wozu dann den Gott????

Warum keine weibliche Göttin, ja warum nicht mehrere Götter, so wie bei den Römern oder Griechen? Wer hat das zu entschieden, wieviel Götter es geben darf, wenn man sie noch nichtmal sehen kann?

Gott- ich glaube nicht an dich. Wie auch? Wir haben die Aufklärung, wir haben die Logik, wir haben die meisten Phänomene der Wissenschaft erklärt, aber einen haben wir dabei nie gefunden: Gott.

Mir scheint, der einzige Platz, wo er noch wohnt ist in meiner Seele und meinen Gedanken, von daher stammt er wohl und dort wird er seine Zuflucht, sein Zuhause haben.

„Was du sagst, ist Gotteslästerei!“ mögen manche mahnen. Andere wiederum lächeln mild und sagen „Gehe mit Gott, mein Kind“… oder sie hauen sich das Knie an, es blutet und sie rufen „Oh mein Gott!“.

Wenn ich Angst habe, bete ich zu Gott und bitte ihn um Hilfe. Gott scheint mir also emotional eine Hilfe zu sein. Die Vorstellung, dass jemand anders als ich verantwortlich sein könnte. Aber warum hilft er dann nicht, wenn es brenzlig wird? Wie weiß ich, wann er hilft, wann ich selbst schuld bin und wo ich völlig alleine und verzweifelt nach einem Sinn suchen werde?

Gott, ich verstehe dich nicht.

Du bist nicht zu verstehen. Man soll sich dich nicht vorstellen, aber glauben. Was bleibt, sind die Forderungen der Kirche, von denen ich wiederum weiß, dass sie menschengemacht sind. Es wird schwer, zu glauben.

Es wird schwer, sich verantwortlich oder gar schuldig zu fühlen. Wenn Gott nicht die Erde gemacht hat, sondern das ganze nur ein Zufall, eine Explosion oder sonstwas gewesen war?

Wir haben gerechnet, beobachtet und wieder gerechnet und der Begriff „Gott“ hat sich irgendwie rausgerechnet, ist unter den Tisch gefallen, bis er von dem Haushund dankbar aufgefressen wurde.

Gott, im Bauch des Köters, den ich gestern noch getreten habe?

Kann das sein?

Gott, wo bist du?

Hast die Atombombe nicht vertrieben, den Hunger nicht besiegt, die Armut nicht bekämpft- dem Menschen den Konsum und das Fernsehen gebracht, den Arbeitslosen ihr Hartz 4 und den Reichen ihre Banken. Die jetzt kriseln. Warst du das auch??

Also, Gott, es wird Zeit, dass ich dich suchen gehe. Denn von alleine wirst du nicht kommen. Es wird Zeit, dass ich dich neu definiere. Denn von allein definierst du dich nicht. Du bist wie eine Frau, immer im Schatten und der Mann hält die großen Sprüche. Also sei so lieb, liebe Gott-Frau und komm hervor, lächle ein wenig und zeige, wie schön du bist! 😉

Im Ernst, mir wäre es lieber, wir vergessen diese altmodische Gott-Geschichte und erfinden eine neue Religion. Eine verständliche, nicht verkrampfte. Eine logische, eine hilfreiche, eine die den Mensch in den Mittelpunkt stellt- den modernen Menschen mit seinen Wünschen und Fähigkeiten. Nicht einen grauen Vorzeitmenschen aus irgendeinem babylonischen Reich mit Ziegen und Schafen.

Ehrlich- ich brauche keinen Gott, kein Mann mit Bart. Ich brauche aber eine Religion. Ich finde das Christentum toll, es hat viele gute Ansätze und es gibt viele gläubige Menschen. Aber es ist unlogisch geworden, das Gedankengebäude bröckelt, verliert an Substanz, überzeugt mich nicht mehr.

Es gibt vielleicht ein atheistisches Christentum, ein Christentum ohne Gott. Dies wäre eine Option. Ein neues Christentum, ein Post-Christentum, ein gottloses, logisches und sinnvolles Christentum.

Das wäre dann mein Gott, meine Zuflucht, mein Halt, mein Glauben, mein Leben.

Etwas, dass mich wirklich überzeugen könnte.

Hilfreich finde ich z.B. die Ethik- eine Regel oder eine Vorgabe, wie man das Leben leben könnte oder sollte. Die zehn Gebote helfen dabei, sie sind aber zu ungenau, zu allgemein. Der Mensch und seine Psyche werden nicht aufgefangen, es gibt keinen Halt, Religion ist keine Medizin mehr, Gottesdienst nur lästige Pflicht.

Und dann immer diese Angst, die mit den Religionen aufgedrückt wird. Dieses kollektive Schuldbewusstsein, die Anklage, die Unfreiheit, das Unvermögen des Menschen – das nervt mich am meisten daran. Religion soll Moral sein und Moral soll Angst sein, das kann aber nicht klappen.

Wenn das Christentum wachsen will, muss es die Angst lösen- und den Glauben als eine Bereicherung anbieten- als Arbeit an sich selbst, aber auch als Chance. Als Grundlage für ein erfülltes Leben.

Gott, ich habe dich gefunden! Wenigstens für einen kurzen Moment.

5 Gedanken zu „Religionsspecial Teil 2“

  1. Eines schaffst du mit diesem Artikel: Du polarisierst, so wie Du/jeder es sich wünscht, wenn er etwas schreibt. Ich kann mich in weiten Teilen Deines Textes absolut nicht Deinen Worten anschließen, empfinde tatsächlich den Gedanken an Gotteslästerei, obwohl ich mich nicht als absolut christlichen Menschen sehe. Ich schwanke ja auch immer zwischen einem Atheisten und Agnostiker und sehe mich mittlerweile eher als einen Theosophen, die ja gerne als Esoteriker ebenfalls in die Ecke der Heiden und Ungläubigen, der Unwissenden und Durchgeknallten gedrängt werden.

    Ich werde natürlich mit Begeisterung weiter lesen, weil Du weißt, dass ich mich auch immer und immer wieder in der Thematik hinterfrage und mich weit mehr für die spirituelle Welt als mit der Frage nach der Religion befasse.

  2. Schliesse mich Hartmut an. Kann mich Deinen Worten nicht anschliessen, finde aber nichts gotteslaesterliches an ihnen. Eher den Ausdruck einer Sinnkrise.
    Interessant finde ich Deinen paradoxen Ansatz eines atheistischen Christentums. Das ist in der Tat etwas, was ich mir absolut nicht vorstellen kann, etwas was nicht funktionieren kann, denn die Basis des Christentums ist nun einmal Gott, bzw. die Dreieinigkeit aus dem Vater, dem Sohn und dem Geist (wie man bloss auf so etwas kommen konnte frage ich mich oft. Ein Gott aus drei Einheiten. Warum? Wozu? Aber das waere eine andere Diskussion).
    Was mich in diesem Zusammenhang wundert ist ein Phaenomen, dass Du merkwuerdigerweise nicht ansprichst. Du kennst anscheinend nur die klassische Kirche, aber immer mehr spuere ich den Einfluss von freikirchlichen Bewegungen, die ein deutlich einfacheres, aber dabei „tiefer erlebtes“ Christentum leben. Die meisten dieser Stroemungen kommen aus Amerika, wie z.B. die Jesus Freaks oder andere freikirchliche Gemeinden. Diese Gemeinden wachsen bei uns hier sehr stark, waehrend die klassischen Kirchen Mitglieder verlieren. Waere vielleicht ein unreflektierter, nur auf Begeisterung fuer einen nicht hinterfragten Gott gebauter Glaube ein gangbarer Ausweg? Ich fuer, meinen Teil, sehe ihn nicht. Aber Bekannte von mir haben ihn gefunden…

  3. @ Stephan: Danke für den Hinweis mit den Freikirchen. Der Spur werde ich auf jeden Fall noch nachgehen müssen.

    Zum christlichen Atheismus habe ich tatsächlich mal ein Hinweis gefunden und zwar hier:

    Link

    U.a. wird er damit begründet, dass Gott das Leiden des Holocaust zugelassen hat und warum er „sich nicht eingemischt hat“.

    Sicherlich ist es ein Paradoxon und auf die Dauer vielleicht nicht zu vereinen. Es geht mir aber auch um die Frage, wie man Christen verstehen kann, wenn man selbst nicht an Gott glaubt.

    Irgendwo muss es ja eine verständliche Linie, eine Möglichkeit der „Übersetzung“ geben.

    Danach suche ich händeringend. 😉

  4. Ich frage mich, warum muss man das Christentum so zurechtbiegen, dass es im alten Gebaelk knarzt und knackt, bis es den eigenen Vorstellungen entspricht? Warum muss es unbedingt ein christlicher Glaube sein, an den diese Philosophen glauben wollen. Warum formulieren sie nicht ihre Gedanken und formen dadurch ein neues Weltbild und einen neuen Glauben. Wenn sie vom Atheismus ueberzeugt sind, warum brechen sie dann nicht mit dem Christentum und sagen sie seien keine Christen sondern Atheisten? Warum den einfachen Weg gehen, wenn es auch einen ungangbaren gibt?

  5. Ich weiß nicht. Wenn man wirklich Atheist ist und das irgendwann eindeutig erkannt hat, dann muss man einen Strich ziehen. Aus Gründen der Logik liegt das nahe.

    Emotional und „religiös“ sieht das vielleicht ein wenig anders aus, es gibt ein paar Gründe, über die man dabei nachdenken könnte:

    … einmal der Respekt vor der Religion und den Gläubigen. Wenn man erkannt hat, dass es objektiv „falsch“ ist, bzw. nicht funktionieren kann und man nicht mehr an Gott glaubt, dann kann/sollte man dennoch versuchen, anderen Menschen, die es noch tun, mit Respekt zu begegnen. Das ist mein Wunsch, wenn ich innerlich mehr zum Buddhismus neige. Der Dalai Lama schreibt z.B. ausdrücklich, dass man sich nicht von seiner eigenen, ursprünglichen Religion abkehren soll und weiterhin diesen Dialog mit anderen Religionen aufrecht erhalten soll.

    Viele Menschen im Westen sind faktische Atheisten. Sie glauben zwar schon lange nichts mehr und gehen auch nicht in die Kirche, aber sie hinterfragen ihren Glauben auch nicht und sind irgendwo im Christentum „hängengeblieben“.

    Um diese Menschen zu erreichen, muss man überlegen, wie sie zu diesem Punkt gekommen sind und wo man ansetzen kann, um das Christentum oder zumindest mal die „gläubige Gemeinschaft“ weiterentwickeln kann. Ansonsten kann der Pfarrer soviel predigen wie er will, er wird doch nichts damit erreichen.

    Das große Problem vieler Religionen ist doch das dogmatische, dass sich jeder selbst für „das Beste“ hält und ich finde, dass ist der größte Fehler, den man machen kann. Viele Atheisten sind auf ihre Art auch dogmatisch und verurteilen alle anderen. Also das wichtigste ist immer der Dialog von allen, finde ich.

    Dann lernt man auch am meisten und kann sich in seinem eigenen Glauben besser wiederfinden.

    Wenn der Glauben nur ein gedankliches Modell von der Wirklichkeit ist, dann kann er durchaus auch eine Überschneidung von verschiedenen Religionen und Ansichten sein, so wie mein Bild von der Wirklichkeit oft aus verschiedenen Einzelbildern entstanden ist, die ich im Laufe des Lebens evt. „fotografiert“ habe. 😉

    Viele Grüße,
    Julia

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Protected with IP Blacklist CloudIP Blacklist Cloud