Liebe – und was dazu gehört

Kostbare, oh kostbare Zeit. Kennt ihr das Gefühl, wenn ihr nach langer Zeit der Abstinenz eines Menschen keine Gefühle mehr für diesen empfindet? Wenn er euch plötzlich gegenüber steht und ihr null spürt, kein leises Zucken, kein Aufflammen der Leidenschaft, nein noch nichtmal der Blutdruck oder der Herzschlag verändern sich. Man ist kalt geworden, so kalt. Man geht an ihm vorüber, als sei er eine Wand oder sei die Wand zum Mensch geworden, man sieht in sein Gesicht und schaut nur in sein eigenes Spiegelbild und weiter rechts, in graue Betonflecken.

Ich hab das immer mal wieder mal und es erschreckt mich jedes Mal neu. Menschen, für die man einst fieberte, die man mit jeder Zelle des Körpers liebte und begehrte oder immer in ihrer Nähe sein wollte, verändern sich nach Wochen, Monaten oder Jahren- bis sie irgendwann zu Menschen werden, die man niemals kannte- und vielleicht auch niemals mehr kennen möchte.

Ich finde das so traurig, es wirkt so herzlos, so kalt. Ich frage mich, wo dabei der Fehler liegt? Ist es die Liebe durch Bedingungen, mit „Anhaftung“ wie die Buddhisten sagen? Dass man nicht richtig liebte (was auch immer das heißt, „richtig lieben“), sondern nur eine Hülle, ein bestimmtes Schema, dass man von einem Menschen hatte und dass nun, nach Veränderung, nach Zeit, nach gekippten Konstanten einfach nicht mehr passt? Man liebte einen bequemen Menschen, man liebte ((Tippfehler „liebte“, nicht „lebte“, aber beides hängt doch manchmal eng zusammen)) den fleischgewordenen Status, das Geld- aber nicht die Probleme, das Herz und seine Seele.

Wie wenig Begriffe überhaupt wir für die Liebe haben! Mir ist das letztens wieder aufgefallen. Ich liebe jemand oder ich finde etwas schön. So oft sagt man das. Man liebt den Elektronikmarkt seines Vertrauens, man liebt das Burger-Restaurant um die Ecke, man liebt sein Haustier, seinen Rasierapparat, man hat „Lieblings-Songs“, Lieblingsfarben, Lieblings-Fernsehsendungen. Die Mutter liebt ihr Kind, der Vater aber auch. Leute sagen, Mutterliebe wäre wichtiger und enteignen den Vater nach einer Trennung. Wie falsch sie damit oft liegen, weil sie die Liebe beider Eltern nicht verstehen.

Liebe ist Aufmerksamkeit, Erziehung, Liebe ist Teilhabe und Mitteilen. Liebe bedeutet, dass Mann und Frau sich verstehen, sich austauschen und durch einen Dialog Werte, Dinge und eben Liebe schaffen. Dieses positive Klima der Liebe begünstigt die Familien und schafft direkte und indirekten „Mehrwert“ für eine Gesellschaft. Und nur eine Gesellschaft mit ausreichender Liebe darf sich eine glückliche und gesunde nennen.

Liebe ist Arbeit, und Liebe ist Miteinander.

Wo es kein Miteinander gibt, kann es auch niemals Liebe geben. Liebe bedeutet, mit jemanden oder durch jemanden zu leben, es bedeutet aber nicht, „zu lasten jemandes zu leben“… denn Liebe, vor allem einseitige, kann auch schnell zur schlimmen Belastung werden. Kälte schützt davor, geliebt und missbraucht zu werden. Emotionale Kälte ist ein Schutz gegen Liebesschmerz.

In der Ehe sollen wir uns lieben, da gibt es die ewige Liebe. Zumindest haben sich das Kirchen mal ausgedacht, damit die Beziehungen nicht so schnell zerbrechen. Ein paar Jahrhunderte später, als man die Kirchen dann abgeschafft hat, stellte man fest, dass die Leute sich wieder genauso egoistisch verhalten wie vorher- und dass die ewige Liebe eine Sache ist, die man nicht erzwingen kann. Nur, oh weh, jetzt gibt es auch kein übergelagertes Gedankengebäude mehr, an dass man sich noch klammern könnte.

Für diesen ganzen Komplex an Gefühlen und Erlebnissen haben wir nur die „Liebe“. Ein so einfaches und so überstrapaziertes Wort. Es ist, als ob man für einen komplizierten technischen Automotor nur „Motor“ oder nur „Getriebe“ hätte, aber wie sollten wir jemals die Einzelheiten beschreiben und erkennen, geschweige denn Probleme der Liebe lösen können?

Künstler lieben die Liebe. Jedes zweite Lied handelt davon und doch ist es immer wieder neu, da jeder seine persönliche Liebesgeschichte erzählen kann. Und egal in welcher Sprache- Musik und Liebe ist die Sprache, die jeder versteht.

Die Liebe bleibt am Ende immer unsere eigene Aufgabe. Die Liebe ist unser Leben und unser Leben ist am Ende nichts anderes als Liebe.

3 Gedanken zu „Liebe – und was dazu gehört“

  1. Roger Cicero besingt dieses Phänomen „Ich hab` das Gefühl für dich verloren“, schmerzhaft, und doch nicht wieder holbar.
    Ich glaube, dass die zur Zeit immer öfter von mir wahrgenommene Diskussion zur Entromantisierung der Liebe kein schlechter Startpunkt ist, um sich dem Thema „Liebe“ nochmals neu zu stellen. Vielleicht muss man sich dem immer neu stellen, so, wie wir uns verändern. Sollte sich der Mensch immer an ein vorgegebenes statisches Liebesmodell orientieren, oder sollte nicht besser Liebe in all den möglichen Facetten vom reifenden Menschen immer wieder neu interpretierbar sein?

    http://www.brainlogs.de/blogs/blog/psychologieblog/2010-01-05/in-guten-wie-in-schlechten-zeiten

  2. Wenn es nicht mehr „aufflammt“, war es keine Liebe. Wahre Liebe schmerzt ein Leben lang, wenn sie verloren oder nicht erwidert wurde. Und, wer seinen Elektronikmarkt liebt (ich mag ihn nur .-) ) kennt nur die Ware Liebe.

    Liebe Grüße vom Geheimrat

  3. Hallo Julia,

    ich bin über diesen sehr schönen Text gestolpert und möchte dir sagen, dass du mir aus der Seele schreibst.
    Ich weiß oft selbst nicht, was mir in meinem Leben mehr weh tut: Von einem Menschen nicht mehr geliebt zu werden – oder ihn selbst nicht mehr lieben zu können.
    Der Umgang mit dem Schmerz, den der Verlust dieser Fähigkeit, für jemand anderen so empfinden zu können, gehört, glaube ich, zu den schwierigsten Aufgaben unseres Lebens.
    Weiters glaube ich auch, dass der Begriff „Liebe“ für zu viele Einstellungen (?) verschiedenen Dingen gegenüber herhalten muss. In diesem Sinn wird er überstrapaziert.
    Der letzte Satz deines Artikels ist vielleicht der schönste deines gesamten Blogs.

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