Vereinfachung schützt vor Lösung nicht

Seit langer Zeit hab ich mal wieder Lust auf einen politischen Artikel. Ich bin zwar keine professionelle Journalistin oder Redakteurin, sondern nur eine Bloggerin. Aber wie so viele Blogger , sollte man sich täglich über die Medien und die Politik Gedanken machen und seine Meinung abgeben. Das ist der Sinn der Demokratie, alle Macht dem Volke und der höchste Souverän ist der einzelne Bürger und die Bürgerin selbst. Viele Menschen wissen das gar nicht, wie viel Macht sie in einer Demokratie haben und wie wichtig das auch ist, sich täglich, stündlich oder zumindest wöchentlich zu äußern und am öffentlichen Diskurs teilzunehmen, egal wie vorgebildet man nun ist und wie eingeweiht man in die Materie ist. Die Demokratie ist nicht die Meinung einer Partei oder einer Kanzlerin, Demokratie ist die Summe der Meinungen von ALLEN.

Wenn Blogger und andere aktive Menschen immer nur schweigen, wird sich auch nie die öffentliche Meinung ändern können und wir übernehmen immer nur die Massenmeinung. Ohne eine andere Meinung wird es aber nicht zu praktischen Richtungsänderungen kommen können. Die Krise der aktuellen Politik ist auch eine Krise der aktiven Bürgerbeteiligung und des allgemeinen Politik-Desinteresses.

Spätestens seit der letzten Bundestagswahl sollte klar sein, dass der politische Wind nämlich deutlich und kalt aus der neoliberalen Ecke weht. Auch wenn entsprechende Politiker immer wieder versuchen zu betonen, dass sie keine Klientelpolitik betreiben, so ist es doch unübersehbar, wie z.B. mit den Steuersenkungen sehr eindeutig bestimmte Lobby-Gruppen bevorzugt werden und man letztendlich doch nur die stärkt, die überhaupt ein Einkommen haben und mit ihrer Berufstätigkeit sowieso schon in die Gesellschaft eingebunden sind.

Auf der anderen Seite steht der riesige „Berg“ an nicht integrierten Menschen, die sich wohl oder übel mit ihrem Schicksal abfinden müssen. Laut Anne Will von gestern sind das ca. 6,7 Millionen Menschen in Deutschland, die von Hartz IV leben, eine nicht zu unterschätzende Größe (das sind ca. die doppelte, komplette Einwohnerzahl Berlins).

Und obwohl darunter so viele Einzelschicksale, so viele gescheiterte Lebensentwürfe und vermutlich auch soviel Frustration, Unfähigkeit, Verzweiflung und Leid stecken, machen die meisten „professionellen“ Medien und „Fachleute“ nichts anderes, als immer nur ein einziges Argument zu beschwören: Die Hartz IV Empfänger sind alle faul. Und wer faul ist, ist an seinem eigenen Schicksal natürlich mit schuld.

Und wenn diese faulen Hartzis alle selbst schuld sind, müssen wir (die Verantwortlichen, die Macher, die im Saft stehenden) natürlich nichts machen, denn es ist ja IHRE Schuld. Und das die Unterschicht ein Problem mit Alkohol, mit Arbeitsmoral, mit Regeln, Disziplin und unseren eigenen schönen bürgerlichen Werten hat, das ist ja sowieso klar…. (Ironie off).

Das Argument der Faulheit ist ein Gefährliches, weil stark vereinfachendes. Es verdeckt die eigentliche Notwendigkeit, mehr auf dem Arbeitsmarkt, aber auch mehr auf der Seite der Förderung, der Kinderbetreuung, der Beratung und anderen Säulen der Hilfe zu machen.Wo sind z.B. die Stimmen, die für die Gleichberechtigung der Frau einstehen und neue Rollenmodelle fördern? Sind diese in der stillen Freude über die Herdprämie schon wieder alle verstummt?

Es ist aber auch für die Mentalität und dem Selbstbild der Empfänger eine Sackgasse, weil sie sich sowieso schon stigmatisiert und an den Rand gedrängt fühlen. Wenn sie mitbekommen, dass sie als faul gelten, wird ihre eigene Moral eher noch sinken und sie werden frustrierter und verzweifelter. Wohlgemerkt, auch ein gut verdienender Ingenieur, der vielleicht 20 Jahre gearbeitet hat und nun wegen einer Krankheit oder einem anderen höheren Grund arbeitslos wird, rutscht allzu schnell auf den Hartz IV Satz (nach meinem Wissenstand gerade mal nach einem Jahr). Er hat seit der Agenda 2010 keine richtige Versicherung von der Gesellschaft mehr, er bekommt nichts mehr zurück für seine Leistung und doch hat er jahrelang Steuern gezahlt. Er wird gezwungen, sein Vermögen aufzubrauchen, seinen Lebensstandard zu reduzieren und letztendlich mit all den „faulen Assis“ in einen Topf geworden und das ist der eigentliche Skandal, was auch zeigt, wie sehr uns das alle angeht. Denn arbeitslos kann jeder werden.

Das oft autoritäre Gebaren, das von Politiker und Behörden ausgehen mag, die Arbeitslosen mit bestimmten Regeln zur Arbeitsaufnahme zu zwingen, kann nicht gut gehen. Der Denkfehler steckt schon im Ansatz, denn unser Ingenieur hat ja gerade gearbeitet und ist nun wegen einem höheren Grund arbeitslos geworden. Ist er nun als schlichtweg faul anzusehen? Oder der Fall des Druckers gestern abend bei Anne Will, der 650 Bewerbungen geschrieben, aber nur drei Antworten bekommen hat?

Schon die Senkung der Sätze und die Zusammenlegung von Arbeitslosengeld und Sozialhilfe war ein Schritt in die falsche Richtung. Schon hier hat man den Fehler gemacht und das Thema „soziales Leid“ über einen Kamm geschert und somit de facto eine Außenseitergruppe geschaffen, in die man die Leute einfach ohne weitere Beachtung fallen lässt.

Warum kommt z.B. bei der Arbeitslosendiskussion nie oder nur extremst selten die Rede auf die verantwortlichen Firmen, die nicht ausbilden und sich somit um ihre gesellschaftliche Verantwortung drücken? Wer hat den Mut, unser Bildungssystem wirklich zu hinterfragen und neue Lösungen anzustreben?

Wie passt das zusammen, dass auf der einen Seite nach Fachkräften gejammert und gesucht wird, auf der anderen Seite aber ungenütztes „Menschenmaterial“ vor dem Fernseher vergammelt und sich nicht im Geringsten weiterbildet? Oder auch nur eine Idee hat, dass dies evt. eine Lösung aus der Krise wäre?

Wer den Arbeitslosen erstmal das Geld weg nimmt, nimmt ihnen die Mobilität, die Freude, die Möglichkeiten, den Antrieb, den Willen, die Ressourcen. Leben und einen Beruf nachgehen, sich weiterbilden, besteht nicht nur aus Essen und Schlafen, dazu gehört weit mehr. Für jedes Wetter braucht man die richtige Kleidung. Ein Computer muss angeschafft werden. Wenn Kinder da sind, brauchen sie neue Schulbücher, ein Kinderzimmer, ein Bett, ein Schreibtisch, eine Ruhezone. Aber das materielle Wohl, die Absicherung ist es nicht alleine, die zur Arbeitsaufnahme führt.

Es dauert lange, bis man sich einen regelmäßigen Rhythmus angewöhnt hat, und sich selbst soweit in den Griff bekommt, dass man all dies schultern kann. Bis man die Selbstzweifel überwunden hat, bis man sich einen Ruck gegeben hat, bis man die Depressionen und die Alkoholsucht überwinden kann.

Der Weg nach unten ist immer leicht und man rutscht beinahe hinein, nach oben kann es Jahre brauchen oder ist im schlimmsten Fall nie zu erreichen. Und das alles ist weitaus mehr, als nur „Faulheit“.

Wenn die Eltern nur am gemeinsamen Küchentisch sitzen und rauchen, wie soll dann je die bürgerliche Bildung in die Familien kommen? Ob sich eine Tür im Himmel aufmacht und sie plötzlich SCHWUPPS in die Wohnung fällt, so wie einst die Super-Nanny? In der Realität wohl eher selten zu finden. Und die Super Nanny ist auch nur ein Medienprodukt, eine schöne Illusion, die wir uns gerne abends auf dem warmen Sofa anschauen, wenn wir morgen wieder zur Arbeit fahren…

4 Gedanken zu „Vereinfachung schützt vor Lösung nicht“

  1. Das Thema Armut und arme Menschen wird uns in den nächsten Jahren leider begleiten. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung, die für viele Menschen direkt ins Aus führen wird. Mich macht das traurig.

  2. mich macht es auch sehr traurig.. aber ich gebe nicht auf. ich denke, wenn genügend Menschen für die „richtige Sache“ motiviert werden können und über solche Themen sensibilisiert werden, ist es noch nicht zu spät. das schlimmste wäre nun Schweigen.
    lg, Julia

  3. Hey! Ein sehr schöner Beitrag! 🙂
    Gut geschrieben, und ich kann dir in fast allem zustimmen.

    Zu den Firmen: in Deutschland bilden zwar viele Firmen aus, aber nur wenige übernehmen die Auszubildenden in reguläre Beschäftigung.

    Der einzige Punkt, den man etwas anders sehen kann: Hartz IV (und früher die Arbeitslosenhilfe, die mit der Sozialhilfe zusammengelegt wurde) ist nach dem Versicherungsprinzip konstruiert, dass jeder, der in eine Situation gerät, in welcher er der Versicherungsleistung bedarf (hier: Arbeitslosigkeit), dieselben Leistungen erhält (unabhängig davon, wieviel er einbezahlt hat). Das Problem ist, dass man bereits nach kurzer Zeit auf Hartz IV als eine sehr geringe Minimalversorgung (Existenzminimum) zurückfällt, während man früher länger Arbeitslosengeld und auch noch die Arbeitslosenhilfe bekam.

  4. @Markus: Genau, das sehe ich eigentlich auch so, wichtig ist das Wort „Versicherung“. Die Versicherung des Staates gegen Arbeitslosigkeit funktioniert nicht mehr richtig, bzw. sie verschwendet Beiträge. In jeder anderen (wirtschaftlich arbeitenden) Versicherung würde man für sein eingezahltes Geld deutlich mehr zurückbekommen. Es gibt schlaue Menschen, die das ausgerechnet haben, aber die gezahlten Leistungen sind einfach lächerlich, zudem wird es alles zu stark vereinfacht. Bei der Autoversicherung oder der Krankenversicherung gibt es doch auch mehr Abstufungen und Einzelfälle, warum kann man das bei der so wichtigen Arbeitslosenversicherung nicht?

    Die Frage ist daher für viele Beschäftigte: Warum soll ich mich diesem System überhaupt noch weiter anschließen, dass so offensichtlich schlecht und verschwenderisch mit Geldern umgeht? Warum nicht die Option in Betracht ziehen, sich z.B. selbstständig zu machen und sich freiwillig zu versichern oder die andere Option, das Land zu wechseln, also auszuwandern. Beides mag egoistisch klingen, und schadet den Sozialsystemen, ist aber eine logische Konsequenz, zu der man die Menschen mit solchen Gesetzen zwingt.

    Die Sozialssysteme bedürfen meiner Meinung nach eine grundlegende Überarbeitung. Das Prinzip „Gerechtigkeit“ muss wieder stärker eingebunden werden. Für die Arbeitenden, aber auch für die arbeitslos gewordenen.

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