Bahnfahren- gestern und heute

Sorry, wir haben die Menschen vergessen

Bahnfahren war früher eine schöne Angelegenheit. Zur Oma, zu den Verwandten, in eine große Stadt, es hat immer viel Spaß gemacht. Erinnert sich jemand noch an die alten Züge, da konnte man das Fenster runter ziehen und den Daheim gebliebenen zum Abschied winken!

Man saß nicht in diesen supermodernen Großraumabteilen, sondern ganz konventionell in einem Abteil mit sechs Leuten. Da musste man reden. Da musste man noch kommunikativ sein. Privatsphäre gab es nie viel, aber als Kinder durften wir meistens am Fenster sitzen, immerhin etwas. Manchmal haben wir aus Spaß was aus dem Fenster geworfen, aber nur wenn es keiner gesehen hat und das Abteil leer war. Oder wir haben das Fenster ein wenig runter gemacht, damit im Sommer kalte Luft reinkommt… dann ist immer ein Schaffner vorbeigekommen, meistens ein älterer Herr, der etwas streng geguckt hat und uns Kindern Angst gemacht hat.

Aber Mama hatte das Ticket immer dabei, die Gute. Also kein Problem. Nach ca. einer Stunde kam dann der klappernde Servicewagen, das hieß aber damals nicht so. Das hieß — ja , wie eigentlich? Auf jeden Fall kam jemand mit Essen und Trinken vorbei und die Preise waren moderat und alle waren glücklich. Natürlich wurde nebenbei noch ein mitgebrachtes Wurstbrot vertilgt, es gab einen großen Tisch und dazu Orangensaft… Natürlich, es hat ein wenig länger gebraucht, die Züge sind vielleicht „nur“ 200 km/h gefahren und sie waren nicht so aerodynamisch. Aber immerhin, man ist ans Ziel angekommen und es war eine tolle Sache.

20 Jahre später

Züge gibt es immer noch. Die Schaffner sind nicht mehr alt und männlich, sondern meist jung und weiblich und heißen jetzt „Zugbegleiter“. Der Lohn ist wahrscheinlich nicht sehr gut, denn sie machen meistens einen gehetzten und angestrengten Eindruck. Nicht mehr so idyllisch wie früher, rationalisierter irgendwie.

Auch die klappernden Servicewagen gibt es immer noch, aber meistens nur ein einziger mit einem überlasteten Angestellten, der für 700 Fahrgäste gleichzeitig verantwortlich ist. Naja, von Mannheim nach Hamburg haben wir viel Zeit (ca. 5 Stunden), leider der Servicewagen nicht. Also, das nächste Mal wieder Wasser mitnehmen! Es ist ja auch nur ein Zug. Wer erwartet da schon Luxus? Inzwischen sitzen wir in einem modernen Großraumwagen. Alles ist bunt, glatt, aus Plastik. Die Buchsen für die Kopfhörer hat man wieder abgeschafft, inzwischen hat eh jeder einen MP3-Player. Für das Gepäck ist zu wenig Platz und wenn die Züge überlastet sind, wie so oft, stauen sich die Koffer in den Gängen.

Aber die Züge haben keine Fenster mehr, die man runter ziehen kann. Nein, alles ist hermetisch abgeriegelt und die Menschen sitzen wie in einem Raumschiff. Druckausgleich und solche Dinge. Macht aber nix, sagen die Hersteller, dazu haben wir ja Klimaanlagen. Die kommen mit allem klar. Nur mit Hitze nicht, wenn ICE 2 drauf steht.

Dann kann es halt schon mal passieren, dass sich die Luft auf 50 Grad oder darüber aufheizt. Was können wir dafür? Es ist ja nicht unser Problem. „Schätzchen, wenn du erstmal im Berufsleben bist, sprechen wir uns wieder“ lautet die lakonische Antwort der Zugbegleiterin. Wen interessieren schon Kinder und Schüler? Das schwächste Glied und unsere Zukunft. Verbacken in Stahl.

„Wir“ müssen nur von A nach B fahren. Die Rendite ist wichtig, schließlich sind wir ein Börsenunternehmen.

Was interessieren uns die Kunden? Hauptsache, der Kunde zahlt. Viele, tolle Sonderangebote, die kein Mensch mehr überblicken kann. Meistens zahlt man mehr als mit dem Auto, aber die Autobahnen sind zum Glück auch alle überlastet. Alternativ kann man noch ein paar Streiks dazu zählen, denn die Mitarbeiter bekommen- wie in so vielen Betrieben- zu wenig Geld.

Der Kunde hält´s schon aus. Was soll er auch machen? Richtige Alternativen gibt es nicht. Sparen ist angesagt.

Erich Fromm hatte Recht: Der Kapitalismus ist der Sieg der toten Maschinen, des toten Kapitals über das Lebendige, über das Menschsein. Maschinen und Rendite sind wichtiger als Menschen. Und die Menschen lässt man in ihren metallischen Särgen ausharren auf ihr Schicksal. Aber immerhin mit 300 km/h. Denn es muss ja schnell gehen. Zeit ist Geld.

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