Sichtbar machen

Auf Instagram bin ich die letzten Tage mal wieder unweigerlich zum Thema „Transgender“ bzw. „Transidentität“ gestoßen. Ich bin einfach neugierig und interessiere mich dafür. Ich bin selbst „betroffen“, warum soll ich zum Thema also nichts schreiben und nicht dazu stehen? So einfach war das lange nicht. Ich hab oft überlegt und gemerkt, dass es einfacher ist, „als Frau“ unterzutauchen und sich die eigene Lebensgeschichte nicht ganz einzugestehen. Zugegeben, es wurde mit der Zeit auch immer einfacher. Das Passing wird besser, das Gefühl „angekommen zu sein“ ist stärker – man fühlt sich einfach wie eine Frau, man hat den weiblichen Vornamen, alle sekundären und primären Geschlechtsmerkmale sind vorhanden, das Umfeld ist okay – warum sich also noch mit der Vergangenheit quälen? Es lebt sich einfacher und besser, wenn man darüber nicht mehr redet und es nicht ständig aus dem Dunkeln holt.
Auf Instagram hab ich jetzt gemerkt, dass es aber durchaus T*Frauen gibt, die ganz offen zu dem stehen, was sie sind oder WER sie sind. Es sind vor allem Frauen, die gerade in der „Transition“ stehen oder das ganze gerade hinter sich haben. Es gibt viele Fotos (vor allem Selfies) und interessante, teils berührende Texte. Mal wieder scheinen mir andere Länder (vor allem die USA) etwas weiter als das langsame Europa zu sein.

Es gibt auch viele interessante Hashtags, mit denen man diese speziellen Frauen finden kann:

zum Beispiel:
https://www.instagram.com/explore/tags/thisiswhattranslookslike/
https://www.instagram.com/explore/tags/transisbeautiful/
https://www.instagram.com/explore/tags/girlslikeus/
https://www.instagram.com/explore/tags/transisbeautiful/

Beim Recherchieren hab ich auch rausgefunden, dass es in den USA wohl einen speziellen Gedenktag gibt, der das Thema Transidentität in den Vordergrund stellt und „sichtbar“ machen möchte: Er nennt sich „Transgender Day of Visibility“ und wurde (so Wikipedia) 2015 vor allem für diesen Zweck gegründet.

(mehr dazu: Link 1 und Link 2)

Was soll ich sagen? Ich bin mal wieder total angetan und merke in meinem Innersten, dass ich das gut finde.
Ja, man muss dazu stehen! Ja, die Öffentlichkeit muss mehr erfahren. Wegschauen und verdrängen sind keine guten Lösungsansätze.
Das Leben bietet so viel Potential und so viele Möglichkeiten. Wenn man nur zu Hause rumsitzt und traurig ist, verändert man nichts und ist auch kein Nutzen für die Gesellschaft. Man muss laut sein und sich engagieren und man muss Netzwerke aufbauen und anderen helfen. Wer ausreichend kommuniziert, hilft anderen automatisch. Und NATÜRLICH gibt es eine Menge Gegenwind. Das ist doch ganz klar. Veränderung bedeutet eben auch „Widerstand überwinden“. Die Frage ist nur: Wieviel Kraft hat man und wo ist die Kraft erschöpft? Kleine Erfolge motivieren dann, um weiter zu machen. Das betrifft nicht nur die Transthemen, sondern alle anderen sozialen / menschlichen Themen.

Mir ist aber auch klar, dass das noch ein verdammt weiter Weg ist.
Die Situation mit den Blogs ist in Deutschland allgemein schwierig. Die Zunahme von rechtem Gedankengut (z.B. AfD) macht die Sache nicht leichter. Die Stimmung ist allgemein aufgeheizt. Ein Zustrom von Menschen aus Ländern, die zum Thema Schwul oder Trans sehr ablehnend eingestellt sind, macht unsere Situation nicht einfacher. Die Intoleranz in Deutschland war vorher schon sehr stark ausgeprägt, wenn man jetzt auf noch krassere, religiös-totalitäre Meinungen trifft, wird das verdammt schwierig.

Es gibt weitere Probleme: In Deutschland herrscht oft ein „Vereinsdenken“. Man organisiert sich in größeren Clubs oder Treffen, dann muss aber die „Clubmeinung“ übernommen werden. Abweichungen werden auch hier wiederum nicht gerne gesehen. Es enstehen dann „innere Kämpfe“ und Probleme, die den Zusammenhalt nach außen gefährden. Ich denke das ist z.B. ein Phänomen, an dem die Piratenpartei gescheitert ist. Nicht jeder akzeptiert Neuerungen und innovative Gedanken! Sie sind immer zuerst bedrohlich. Alles muss geregelt und irgendwie „organisiert“ sein. An unserem Weg aber ist nichts geregelt. Er ist chaotisch, verwirrend, er macht Angst und ist oft bedrohlich. Wir verändern uns sehr heftig.

Alle haben ein Problem mit uns: Andere Frauen beneiden und bekämpfen uns. Hierzu ein interessantes Beispiel aus einer Instagram-Geschichte. Die junge T*Frau schreibt, sie sei bei dem Besuch einer Hochzeit angefeindet worden und andere hätten behauptet, sie würde der Braut die Schau stehlen wollen. Die junge T*Frau hatte gerade eine Brust-Op hinter sich und andere Frauen auf der Hochzeit hatten Angst davor. Das zeigt, wie schnell man bei anderen Frauen in der deren Konkurrenz-Gegenwind gerät. Eigentlich wäre es lustig und ich musste schmunzeln. „Hey, es zeigt doch, dass sie dich fürchten und deine Weiblichkeit bereits beneiden. Kann es ein besseres Kompliment für Dein Aussehen geben?“.

„Normale“ Männer haben Angst davor „schwul“ zu sein. Deren Angst-Abwehr und hetero-normative Selbstdeutung wird dann mit Aggression, Ablehnung und Abgrenzung aufgefüllt.  Sehr schnell wird man von der Gesellschaft in eine schmuddelige Ecke gestellt und nicht wenige Transfrauen landen dann auf dem Strich (gerade in ärmeren nicht so priveligierten Ländern. ) Das mit der eigenen Familie ist oft ein großes Problem. Nicht immer ist die volle Unterstützung da und so wird man ganz schnell zum Außenseiter. Sehr schnell wird man einsam und passt einfach nicht dazu. Die Identität ist nicht sichtbar, es ist eine Kopfsache- also wird man auch schnell für einen „Spinner“ gehalten. Extrovertiertes Auftreten (gerade von Transfrauen, Dragqueens, Transvestiten, etc.) und ein Spiel mit der Provokation macht die Akzeptanz nicht leichter.

Wir treten in den schwierigen grauen Zwischenbereich zwischen den Geschlechtern und der ist voll mit Problemen.

Ein Grund mehr, das ganze „sichtbar“ zu machen.

5 Gedanken zu „Sichtbar machen“

  1. Ja, sichtbar machen ist gut.
    Provokante Art versus religiös-totalitär. Das weiss man dann auch nicht, was provozierender ist.

    Weisst Du, ein paar gute Freunde von mir aus dem klerikalen Bereich, die haben schon erhebliche Schwierigkeiten, wenn Männer bei der Heirat den eigenen Nachnamen zugunsten des Namens der Frau aufgeben. Ernsthaft! Hätte ich das nicht selbst erlebt, ich würde es nicht glauben.

    Ich selbst keine einige Transmenschen, das hat sich so ergeben. Ein Transmensch, den ich persönlich noch nicht kenne, der ist auf seiner TL in Twitter sehr aktiv. Und erntet anscheinend viel Gegenwind, aber auch viel Zuspruch.

    In einem Psychoschinken habe ich gelesen, dieser Gegenwind, der da produziert wird (auch bei der Frage um Homosexualität), der hänge damit zusammen, dass Sexualität noch stärker wirkt als sonst etwas. Es ist sozusagen unser erstes Erkennungsmerkmal, unsere erste Identität. (Ich kann’s leider nicht mehr richtig ausdrücken, und der Buchtitel ist mir auch entfallen.)

    Aber weisst Du, ich denke, bei den Problemen, die sich viele nicht Betroffene über Transsexualität machen, hängt das auch damit zusammen, dass sie alles nachvollziehen wollen im eigenen Leben, statt den anderen einfach beim anderen zu lassen und die Dinge einfach stehen zu lassen.
    Kann ich mir vorstellen. Dann gibt’s einen Crash, den sie nicht aushalten. Und es wird ausgeschlagen.

    So weit meine Kuddelmuddelgedanken von mir.

  2. „Provokante Art versus religiös-totalitär. Das weiss man dann auch nicht, was provozierender ist.“

    Der Satz gefällt mir gut. 😉 In den Kirchen bzw. den Religionen wurde ja oft die Sexualität unterdrückt und damit auch alles, was von der Norm abweicht. Die Provokation kann helfen, die Norm aufzubrechen. Der Schuss kann aber nach hinten losgehen und alles verschlimmern. Ich glaube, wenn es nicht schon immer Menschen gegeben hätte, die dafür gekämpft hätten (z.B. mehr sexuelle Freizügigkeit in der Hippie-Zeit), dann wären wir heute noch rückständiger.

    Das mit dem „ersten Erkennungsmerkmal“ finde ich auch sehr interessant. Das ist wieder ein neuer Aspekt, den ich noch nicht kannte.

    Vielen Dank für die sehr interessanten Gedanken und
    Viele Grüße

    1. Wenn ich noch wüsste, wie das Buch hiess, in dem das stand mit dem „ersten Erkennungsmerkmal“. Aber keine Ahnung mehr, sonst würde ich es Dir sagen. Du würdest es bestimmt gerne lesen. Ich hatte es in der Stadtbücherei ausgeliehen und irgendwie ging es da um Sexualität. Aber wie genau und was genau, das weiss ich nicht mehr, leider.

  3. Julia, ich hab’s jetzt doch tatsächlich gefunden!
    Es ist von: Christoph Joseph Ahlers mit Michael Lissek
    und hat den Titel: „Himmel auf Erden und Hölle im Kopf – was Sexualität für uns bedeutet“

    Ich glaube, ich habe das nicht alles gelesen, weil es da z.T. auch um ziemlich verquere Menschen geht (das ist dann was für die Fachleute, finde ich), aber informativ war es.

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