Blog und Gegen-Blog

„Da kommt schon eine ganze Weile nichts mehr“, sagt meine Mutter als sie auf meine Webseite surft und den letzten Eintrag im Blog lädt. „Ja stimmt, mhm..“ versuche ich ihr zu entgegnen, aber mir fällt keine richtige Antwort ein.

Ich hab wirklich schon lange nicht mehr gebloggt! Echt seltsam, wie sich die Zeit verändert, bzw. man sich selbst mit der Zeit verändert. Früher war mir das Schreiben so wichtig gewesen, der Mittelpunkt der eigenen Welt. Der Stabilitätsanker in der Identitätskrise, das Tor, nein eher der Nabel zur Welt.

Und was man alles geglaubt hat, mit dem Schreiben zu verändern! Man wollte die Welt aus den Angeln heben, ein bisschen gerechter machen! Über den sozialen Frieden und Ausgleich, über Politik und Gegenpolitik, über die Feuilletons dieser Welt schreiben. Da ging es schon längst nicht mehr über die eigene Befindlichkeit. Nein, die eigene Befindlichkeit wurde auf die Befindlichkeit der Welt ausgedehnt und man entdeckte überall Parallelen und kleine Verbindungsschalter. Alles hing miteinander zusammen.

Man wollte zur Politik seinen Teil dazu beitragen und eine eigene Meinung haben, so wie man das in der Schule gelernt hat. Weil die Lehrer gesagt haben, dass Deine Meinung gehört wird. Dass Du wichtig bist. Auch wenn Du es nicht glauben konntest, damals mit deinen 14 oder 15 Jahren… und heute noch weniger.

Und wie viel Mühe man sich gegeben hat! Wie lange es gedauert hat, bis so ein Artikel mal fertig geschrieben und alle Fehler entfernt worden waren. Und irgendein kritischer Geist hatte dann doch noch einen Fehler gefunden, den er gerne behalten durfte…

Heute muss ich nur noch schmunzeln, wenn ich so auf meine eigenen Ambitionen von damals zurückblicke. Spätestens mit Facebook oder Instagram hatte sich dann sowieso alles geändert. Die Leute schrieben nicht mehr über ihr Leben, nein sie luden nur noch Fotos hoch oder kommentierten komplexe Vorgänge mit einem einzigen Smiley. Plötzlich war nur noch der Moment wichtig oder die Frage, was man gerade gegessen hat oder in welchem großartigen Land man sich gerade aufhält. Selbst dieser Hype kommt mir mittlerweile etwas schal vor und ich kann meine eigene Begeisterung dafür kaum noch nachvollziehen.

Oder erinnert ihr euch an Twitter, zur Blütezeit seiner eigenen Entwicklung? Man hat ständig nette und neue Leute kennengelernt und sich freundlich unterhalten. Meistens wurde gelobt, manchmal auch ein bisschen kritisiert, aber die Stimmung unter den Nutzern war meistens freundlich und man konnte sich in kürzester Zeit ein richtiges Netzwerk aus Lesern und Freunden ausbauen. Die Nutzer interessierten sich füreinander und waren in der Lage gegenseitig empathisch zu sein. Wo sind diese menschlichen Fähigkeiten hingekommen? Was wurde aus unserer Empathie?

„Ohne Twitter brauchst du auch gar nicht mehr zu bloggen“ sagte mir mal vor langer Zeit ein Freund. „Die Leute nehmen die Abkürzung und micro-bloggen nur noch“. „Oder sie posten was auf Facebook.“

Ich fand das etwas befremdlich, so war ich es doch gewohnt, lange Texte zu schreiben und mir viel Zeit für meine Gedanken zu nehmen. Aber hätte ich doch damals (2008-2010) nur ein bisschen mehr micro-gebloggt! Dann hätte ich mehr davon gehabt, denn auch Twitter ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Es ist so toxisch und rechtspopulistisch geworden, so unterwandert von Trollen und Hetzern und Fake-Accounts, dass ich schon beim Ansurfen der URL-Adresse Hautausschlag bekomme.

Nein, die Blogs waren immer die letzte freie Instanz. Sie waren immer das Medium, das komplett frei und unreguliert war. Und daher ist es auch kein Wunder, dass dieses Medium von großen Internetriesen, Verlagen, oder Zeitungen nie unterstützt, bzw. regelrecht klein geredet wurde.

Könnt ihr euch noch an das große Versprechen erinnern, dass man mit dem Blog ja jetzt sein eigener Redakteur, bzw. seine eigene Redakteurin sein darf? Und dann wurde diese schöne Erkenntnis sogleich von den „Klowänden des Internets“ niedergemetzelt, wie es in diesem Mainstream-„Diskurs“ leider so üblich ist.

Aber für „Nischenmenschen“ und Gefühlsmenschen ist es eben wichtig, eine „Nische“ zu haben und mag sie noch so klein sein… Jeder Mensch braucht seine Ausdrucksweise und eigentlich benötigt auch jeder Mensch ein Ventil, eine Plattform, sich so auszudrücken, wie er das für richtig hält.

Dass jeder auch Anerkennung benötigt und eigentlich gleich wichtig sein sollte- geschenkt. Natürlich setzen sich in der Öffentlichkeit erstmal die Lauten durch. Das war vor 2000 Jahren schon so und wird auch in der fernen Zukunft nicht anders sein.

Wer weiß, vielleicht wird auch in Deutschland die vielbeschworene Freiheit des Einzelnen und die Demokratie mal wieder auf dem Rückzug sein. Wenn andere Parteien, mit extremeren Weltanschauungen und radikalen Programmen an die Macht kommen. Dann bekommen wir vielleicht eine Situation wie im großen europäischen „Nachbarn“ oder anderen Diktator-geführten Ländern, wo die freie Meinungsäußerung allein schon das Fundament der Demokratie ist.

Wo allein schon der Gedanke an ein systemkritisches Wort ausreicht, um von der Gedankenpolizei als „Verdächtig“ eingestuft zu werden.

Die Worte eines einzelnen Menschen sind immer die Grundlage der Freiheit. Weil man nur im Wort und in den Gedanken, in seinem Gewissen und seinen Gefühlen „frei“ sein kann. Weil man tief in seinem Inneren nicht im Widerspruch leben kann. Weil man als Mensch weiß und spürt, was Menschenrechte, was Freiheit sind und wie sich Gesundheit anfühlt.

Und somit ist das Schreiben nicht nur politisch wichtig, sondern z.B. auch die Grundlage für seelisches, emotionales und soziales Wohlbefinden. Nur, wenn andere meine Gedanken kennen und ich ehrlich und offen („frei“) darüber schreiben kann, können Sie etwas zu mir sagen. Nur dann kann ich „gespiegelt“ werden.. Nur dann biete ich Angriffsfläche. Wie wenige Menschen heute überhaupt noch etwas sagen wollen. Und sich verstecken, aus Angst, dass ihre Meinung nicht angemessen ist oder nicht in den Mainstream passt. Diejenigen, die andere niederbrüllen oder mit anderen Mitteln versuchen, ihr Ego und ihre Meinung durchzudrücken, haben gute Arbeit geleistet.

Nein, die Blogs und das persönliche Schreiben werden immer wichtig sein. Heute, gestern und auf jeden Fall auch morgen!

3 Gedanken zu „Blog und Gegen-Blog“

  1. Angeblich erleben die Blogs eine Renaissance. Schrieb letztens irgendein Björn in sein Blog. Und seine Kommentatoren pflichteten bei.
    Schön wäre das, denn die langsamere, unaufgeregtere Gangart der Blogs ist mir lieber.

  2. Dein letzter Absatz ist der wichtigste – und den unterschreibe ich sofort.

    Und als Info zu Violines Kommentar:

    Blogs erleben gerade in den USA eine Renaissance und mehrheitlich heißt es dort „Blogs sind die Zukunft“. Bekanntlich dauert es halt ein paar Jahre, bis Trends über den Atlantik auch den Weg zu uns finden.

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