Ihr Kinderlein kommet

Gestern wurde mal wieder eine weitere Studie zum allseits bekannten Faktum veröffentlicht, dass Deutschland eine sehr niedrige Geburtenrate hat und im Vergleich zu europäischen Nachbarn eher schlecht da steht.

Auch die Erklärungen folgten auf dem Fuß, die üblichen Verdächtigen in der Hitliste ganz oben: Das Bild von der traditionellen Mutter ist in Deutschland zu sehr verankert. Frauen, die es nicht erfüllen, fühlen sich ausgegrenzt oder anderweitig missachtet. Der andere Punkt ist das mit der Kinderbetreuung und der schlechten Vereinbarkeit von Beruf und Kinderwunsch.

Das mag alles stimmen, aber ich finde, wenn man nur die beiden Aspekte herausgreift, verengt man das Thema zu einseitig. Es sind für die Medien und Politiker typische „theoretische Erklärungen“ neben den Standard-Politik-Argumenten und Angst-Metaphern.

Kinderkriegen ist doch eine sehr persönliche Sache und wie alle persönlichen Dinge sehr von Einzelinteressen und Ich-Überlegungen geleitet. Auch wenn es Politiker, Rentenkassen, Versicherungen, Banken und Arbeitgeber gerne so hätten, für die Entscheidung Kinder zu bekommen ist man immer selbst verantwortlich. Und jeder einzelne ist sehr gut fähig, alle Vor- und Nachteile gegeneinander abzuwägen, sowie sich zusätzlich von Informationen aus aller Welt zu versorgen und diese in die Urteilsfindung mit einfließen zu lassen.

Das ist schon mal der erste Punkt, warum es sich nicht allgemein erklären lässt und schon gar nicht mit den immer gleichen Standard-Argumenten, wie z.B. der Kinderbetreuung oder dass der Staat zu wenig machen würde. Die Ausgaben für Kinder und Familie sind schon jetzt sehr hoch, ohne den gewünschten Lenkungseffekt zu haben.

Warum? Jeder, der selbst Kinder hat oder Leute kennt, die selbst Kinder haben, weiß, was Kinder heutzutage bedeuten: Kinder sind laut, anstrengend und kosten Nerven. Selbst wenn sie komplett gesund sind, sind Kinder noch anstrengend. Schwierige Fragen müssen beantwortet werden, regelmäßige (gesunde!) Mahlzeiten sind einzuhalten, der Fernsehkonsum möglichst gering zu halten. Je nach Alter gibt es die Trotzphase oder die Pubertät, gerne auch mit fließenden Übergängen und nicht etwa scharf abgegrenzt, wie es im Handbuch steht. (Kann man den Artikel noch zurückgeben oder ist die Frist schon um?)

Besondere Feiertage müssen vorbereitet und organisiert werden, der eigene Urlaub wird am Anfang sehr eingeschränkt. Teure Luxusmöbel könnten mit Buntstiftkratzern oder flüssiger Schokolade beschmiert werden, der neue Fernsehr oder das Ipad zu Bruch gehen, Fensterscheiben werden permanent dreckig sein und selbst die beste Putzfrau der Welt (oder Hausfrau) wird nicht dagegen ankommen, schon gar nicht mit 100 oder 150 Euro zusätzlicher Herdprämie.

Es gibt ein Risiko, dass die eigenen Kinder behindert auf die Welt kommen und zusätzliche Anstrengung und Entbehrung kosten. (Und die allgemeine Akzeptanz von Behinderungen ist bei weitem nicht so gut, wie alle Gutmenschen es gerne hätten) Es kann sein, dass das Kind hyperaktiv oder bettnässend wird, es kann sein, dass man ein Kind mit Lernschwäche bekommt oder Schwierigkeiten während der Schwangerschaft. Kinder sind einfach ein absolut unkalkulierbares Risiko für jeden Einzelnen und die wirkliche Bereitschaft der Gesellschaft für die Mutter und das Gemeinwohl da zu sein, ist sehr gering.

Moderne Frauen , -aber auch Männer- werden das spüren und ganz genau überlegen, ob sie dieses Risiko eingehen wollen oder nicht. Auch die Tatsache, dass das Thema derzeit von den Medien so aufgeladen wird, macht die Entscheidung nicht leichter.

In erster Linie stellen Kinder also eine persönliche Investition dar, die mit dem marktwirtschaftlichen Geist der heutigen Zeit abgeglichen werden und auf persönliche Tauglichkeit überprüft, wenn nicht „gegen gerechnet“ werden muss. Jeder nimmt, jeder profitiert von den Kindern und den gut ausgebildeteten Fachkräften anderer, aber was die Politik und die Gesellschaft auf der „Geben-Seite“ anbietet, ist einfach viel zu gering.

Für die Frau bedeutet es fast immer, den Beruf aufzugeben bzw. für eine längere Zeit zu unterbrechen und dann Schwierigkeiten zu bekommen, wieder neu einzusteigen. Mit einem modernen, weiblichen Selbstverständnis nur sehr schwer zu vereinen.

Für den Mann hat sich nicht viel verändert, er wird bei alldem viel zu wenig gefragt. Männer laufen nebenbei, die Erwartungen an sie, die Ernährer für die Familie zu sein, sind weiterhin hoch. Ihr Selbstbild und ihr Selbstverständnis hat sich in den letzten Jahrzehnten viel weniger gewandelt, als das ihrer weiblichen Pendants.

Die Erwartungen an die Familie als Ganzes sind hoch und von allen Seiten kommen gute Ratschläge. Eine Familie zu gründen oder gar zu heiraten, bedeutet in der persönlichen Freiheit beschnitten zu werden- vielleicht eine Schwiegermutter zu bekommen, lästige Familienfeierlichkeit auszuhalten, sich kritisieren und demütigen zu lassen. Man kann nicht mehr einfach so gehen, weil ja „Kinder da sind“. Die Unterhaltszahlungen werden nach einer Scheidung gestrichen oder fallen nie an, jeder ist für sich selbst verantwortlich, dann macht euren Sch.. doch alleine!

Früher war es für Frauen überschaubarer, sie mussten nur heiraten und von einem gut verdienenden Mann abgesichert sein und ihr Leben und vor allem ihre Stellung in der Gesellschaft waren besiegelt. Ihre Mutterrolle war sozusagen „abgesichert“, einmal finanziell, aber auch vom gesellschaftlichen Ansehen her. Es war okay für sie, wenn sie „nur Mutter“ war und das als ihre Lebensaufgabe sah. Heute ist es undenkbar. Die Erwartungen die man an junge Frauen stellt, sind dermaßen hoch, dass es viele einfach nur noch abschreckt. Aber nicht, wegen des Bildes der guten Mutter, sondern wegen des Bildes der alles könnenden Karrierefrau-Supermutter- Showgirl -Hausfrau.

Kinder laufen nicht einfach nebenbei – noch werden sie mit groß gezogen, weil sie praktisch für die Rente sind und später mal im Familienbetrieb (z.B. Landwirtschaft) mithelfen sollen, wie es früher mal der Fall war.

Wenn man eine gute Rente will, sollten beide eine Beruf haben und eine private Rentenversicherung abschließen. Kinder kommen in dieser Rechnung einfach nicht mehr vor.

Zum Schluss ist da noch die Anerkennung. Für beruflichen Erfolg bekommt man Freunde, Kollegen, Weihnachtsfeiern, Anerkennung, ein hohes Gehalt, Unabhängigkeit, bezahlten Urlaub, Weltreisen, Luxus-Möbel, ein Haus im Grünen.

Für Kinder bekommt man ein Haufen Arbeit, dreckige Böden, Einschränkung der Freiheit, geringere Rente, gesellschaftliches Mitleid, einen kostenlosen Lutscher und eine Scheibe Wurst beim Metzger.

Also ganz nett, aber eindeutig nicht „Prio eins“.

Aber soo süß!

Schöne Weihnachtslieder

Die 10 nervigsten Weihnachtssongs… interessanter Artikel und gut geschrieben, hm- aber so nervig finde ich die eigentlich nicht. 😉
Für alle Leute, die noch nach der richtigen Weihnachtsstimmung suchen: Alle Lieder auf Youtube raussuchen und mind. dreimal am Tag hören, morgens, mittags und abends.

Dann klappt´s auch mit der Weihnachtsstimmung und dem Dauerlächeln auf der Weihnachtsfeier…

Meine persönlichen Favoriten:
http://www.youtube.com/watch?v=i-unBLOI7uM
Weihnachtszeit von Sido, sehr lustig

http://www.youtube.com/watch?v=C3l9jQADVF0
Jingle Bells von Kelly Familiy

Und natürlich der Wham- Klassiker in der 1985 Gedächtnis-Edition
http://vimeo.com/15959908

Was, so alt ist der schon?

Jungs in der Pubertät

Gestern kam in der 37-Grad Sendung auf ZDF eine interessante Reportage zum Thema „Jungs in der Pubertät“. Es ist ja derzeit ein Trend, dass man von den Problem-Bereichen der Mädchen etwas weggeht und die Jungs-Probleme in eine neu-feministische Perspektive rückt. Jahrelang wurden Mädchen gefördert, bis man schließlich festgestellt hat, dass Jungs auch Probleme habe und tlw. ganz andere, die auch ganz anders zu lösen sind.

Wie bei den 37-Grad Sendungen üblich, wurden die persönlichen Biografien sehr in den Mittelpunkt gerückt. Die Reportage berührt durch ihr „Mittendrin und nahdran-Gefühl“ und dass man mit den sorgfältig ausgewählten Protagonisten gut mitfiebern kann. Da ist der Junge aus der gehobenen Mittelschicht, dessen ehrgeizige Eltern wünschen, dass er am Gymnasium gute Noten nach Hause bringt, sich aber schon bald wundern, dass diese Noten immer schlechter werden, je älter er wird. Auch das anfängliche Klavierüben klappt nur noch mit Druck, aber nicht mehr freiwillig. Das Kinder-Hochbett soll auf Wunsch des Jungen abgebaut und in ein „normales Bett“ umgebaut werden. Netter Nebeneffekt: Das gehasste Elektro-Klavier kann gleich mit verschwinden. Dieser Junge ist noch der unauffälligste und kann vor allem durch seinen Wortwitz und seine Intelligenz viele Probleme beschwichtigen. Dass ihn aber schon bald die volle Wucht der Pubertät trifft und diese sich vor allem im inneren Widerwillen gegen Autoritätspersonen zeigt, ist unübersehbar.

Dann gibt es noch einen Jungen, der in seiner Schule gemobbt wird, vor allem in Deutsch und Englisch sehr schlechte Noten schreibt und mit seinem Vater alleine zu Hause lebt. Ihm sieht man die Probleme förmlich an. Er ist sehr zurückhaltend, beinahe verängstigt. In der Schule muss er sich nicht nur gegen seine eigene Lernschwäche, sondern auch noch gegen größere, stärkere und bei den Mädchen einflussreichere Klassenkameraden durchsetzen. Ein klassisches Problem, dass hauptsächlich Jungs betrifft, sorgt doch das von außen an sie angelegte Rollenverständnis dafür, dass sie stark zu sein haben und sich jederzeit durchsetzen und behaupten müssen. Wo ein innerer Rückzug bei Mädchen viel eher akzeptiert wird und mit Aufmerksamkeitsgesten verhindert oder abgemildert wird, fallen Jungs bei emotionalen Problemen viel schneller in einen Strudel der Angst, des Schweigens und der Hilflosigkeit. Die meisten weiblichen Erziehungspersonen können oft nur wenig machen und viele Eltern sind damit überfordert. Die -gut gemeinten, aber schlecht umgesetzten- Appelle des Lehrers an den Vater „Lesen sie ihm doch mehr vor, mein Vater hat es auch gemacht, obwohl er im Schichtdienst arbeitete“ können da eigentlich nur fruchtlos verhallen. Die Probleme der Jungs gehen tiefer, als dass ein einziger Appell und das immer gleiche Denken „die Eltern sind schuld, das System aber ist perfekt“ wenig effektiv sind. Ein wenig blüht dieser Junge auf, als er an einem extra angeordneteten „Boy´s day“ in einen Kindergarten schnuppert und dort seine Leseunlust beim Vorlesen für die Kleinen überwindet. Auch das Fußballspielen mit den Kindern klappt gut. Als ihn die Interviewerin fragt, ob er es sich vorstellen könnte, hier zu arbeiten, kommt aber das verinnerlichte Rollenmodell schon voll durch „Ja, es macht grundsätzlich schon Spaß, aber lieber wäre mir ein Männerberuf.“ Ob die Frauen in dem Film es sich so vorstellen, dass ein Mann sein eigenes und persönliches Rollenverständnis aufgibt, nur weil sie es wünscht oder es politisch gerade schick ist?

Zum Schluss gibt es noch einen hochgewachsenen Jungen, der gerade dabei ist, seine mittlere Reife abzuschließen, aber auch bereits mit schlechten Noten und einer allgemeinen Unlust kämpft. Zu Hause langweilt er sich meistens, also will er lieber mit seinen Kumpels um die Häuser ziehen. Die Mutter aber zwingt ihn- wenigstens an einem Tag in der Woche- zu Hause zu bleiben, beim Hausputz zu helfen und sich um seine Bewerbungen und andere Schreibtischtätigkeiten zu kümmern. Dass das bei ihm nicht besonders gut ankommt und pädagogisch auch nicht besonders sinnvoll umgesetzt wird, verwundert den Zuschauer kaum. Er schickt seine Bewerbungen zu spät weg und wird bei einem Bewerbungsverfahren der Bundeswehr mit einer knallharten Realität konfrontiert. Gestandende Männer, die schon längst in ihrem Beruf stehen und einen bestimmten Status erreicht haben, durchleuchten ihn mit ihrem Röntgenblick. „Warum haben sie nur eine ‚Ausreichend‘ in Technik?“ wird da gefragt. „Mich hat es nicht so interessiert. Da ging es um quadratische Funktionen und Parabeln“ ist die schüchterne und unbeholfene Antwort. In den Sozialnoten kann er gut abschneiden, als er danach gefragt wird, kann er seine positiven Qualitäten allerdings nicht genügend „verkaufen“- zu schüchtern. Wirklich vorbereitet hat ihn wahrscheinlich auch keiner. Später sehen wir, dass eine Absage kommt, aber immerhin landet er auf einer Warteliste.

Die Sendung war interessant recht gut, stellenweise aber zu voyeuristisch. Mir haben ein paar Erklärungen und Lösungen gefehlt. Ein, zwei Sätze von Klassenlehrern zur Situation der betroffenen Jungs sind einfach zu wenig. Ein paar Fachaussagen von Kinderpsychologen hätten geholfen, für Eltern oder den interessierten Zuschauer vernünftige Antworten und Lösungen zu finden.
Man hat ansonsten das Gefühl, dass der Zuschauer dem Schicksal der „schwierigen Jungs“ nur unbeteiligt zusehen soll.
Nach der Sendung wird erleichtert die Fernbedienung weggelegt und sich darüber gefreut, dass die eigenen Kinder einfacher sind und dass die eigene Pubertät schon lange vorbei ist.

Ein Tag

Passender Song Dockyard

Ein Tag

Ein Tag, so heiter und wunderbar
voller Sonne und Wärme –
der Horizont, hell, blau und klar
am Himmel ziehen die Schwärme.

Menschen, wohin das Auge schaut
Laute Musik, die durch die Wände schallt
der Garten, mit grell-pinken Accessoires verbaut.
eine Ohrfeige, die schonmal durch das Weltall knallt.

Vögel-Mütter, die ihre frisch geschlüpfte Brut beschützen
den Dreck, freilich, muss ich dann wegmachen.
bei Regen gibt es Vogelkot- Pfützen
das ist nicht zum Lachen.

Wer mag, kann es auch als Dünger verwenden.
Nur der Staub an den Armen, der ist gründlich abzuspülen.
und ebenso von den Händen.

Der Himmel, der endlich seine wolkenverhangenen Grübeleien beiseite schiebt
und mal wieder über das ganze Gesicht strahlt.
Ein Wetter, wie es die meisten doch sehr beliebt
vom lieben Gott- persönlich gemalt.

Neue Perspektiven, noch nicht ganz ausgereift
Nichts bewegt sich, wenn man nicht ein paar Schritte wagt
einmal gefasst, wächst der Entschluss und greift
die Sorgen, haben sich endlich zu Ende geplagt.

Kritik gibt es überall und immer
ein Zeichen für Leben und Widerstand
Wer sich ärgert, macht es nur schlimmer
und bewegt sich schnell an den Rand.

Wer nichts macht, wird nicht geachtet
wer aufhört zu atmen, ist irgendwann tot
willst du der sein, der ewiglich schmachtet?
wann bringst du es wieder ins Lot?

Luft anhalten geht nur für Sekunden
dann ist wenigstens der Schluckauf vorbei.
Die Zeit heilt alle Wunden
der Rest bleibt einerlei.

Der Gutmensch

und das „schlechte“ Gewissen

Gestern ist es mir wieder passiert: Auf dem Supermarkt-Parkplatz sehe ich eine junge Frau, Anfang 20 die mit einem Blatt Papier und einem Kugelschreiber herumrennt und Passanten anspricht. „Aha eine Umfrage“ denke ich mir. „Spart sich der Supermarkt mal wieder Personalkosten und macht eine billige Marktforschung mit außertariflichen Niedriglohnmitarbeitern“… denn sowas hatte ich in der Vergangenheit schonmal erlebt. Reicht ja nicht, dass man die Dinge im Markt kauft und dann fein säuberlich in den Kassen und überall registriert ist, nein die Jagd nach Daten und der Wunsch einen „gläsernen Kunden“ zu haben, kennt keine Grenzen und erstreckt sich bis ins Unendliche.

Bei der Frau war ich aber skeptisch, weil sie so übertrieben freundlich zu allen Leuten war und komische Gesten gemacht hatte. Sie kam dann auch auf mich zu und drückte mir eine Liste unter die Nase und gestikulierte weiter. In den dicken Lettern war auf den oberen Rand gedruckt, dass es sich um eine Spendenaktion für einen „Blinden- und Taubstummen – Verein“ handeln würde und man nun Unterschriften sammeln würde, um sich ein Gemeindehaus oder etwas in der Art bauen zu können. Da dachte ich mir noch, wozu braucht man denn Unterschriften… das ist ja nichts illegales, warum muss das denn genehmigt werden oder mit irgendeiner Initiative durchgesetzt werden?

Unten am Blatt waren allerlei Siegel und Auszeichnungen und Titel, dass das ganze offiziell ist. Ich wunderte mich nur über die schlechte Qualität des Ausdruckes und erkannte eigentlich sofort, dass das ganze eine billige Kopie war. Die Farbe war verwaschen und ein offizieller, frisch gedruckter Stempel nicht zu erkennen. Auch trug die Frau keinen Ausweis um die Brust und ihr Gebahren war sehr auffällig, da sie es anscheinend sehr eilig hatte. An der Stelle hätte ich also schon stoppen können und der Frau sagen, dass ich nicht unterschreiben werde. Meine kalte Seite zeigen und das Eisen-Gesicht der Abschottung aufsetzen. Bei Bedarf noch etwas die Ellenbogen ausfahren und auf Krawall gebürstete Zicke machen. Leider ist das nicht meine „Lieblings-Attitude“.
„Hach, eine Unterschrift schadet mir ja nicht und vielleicht ist es ja doch was legales?“ Zwei Stimmen in meiner Brust fochten in Millisekunden einen neuronalen Kampf um die ethische Vorherrschaft und das Gewissen verknäulte sich ineinander wie zwei verschiedenfarbige Woll-Arten, die sich beim Stricken der Gedankenfäden verheddert hatten. Und mal wieder siegte die schwache Seite…. Hatte ich nicht eben die andere Frau mit den zwei Gurken und dem Stück Butter in der Hand an der Kasse vorgelassen, weil ich so gerne freundlich war? Wie konnte ich da jetzt so eine – wesentlich höher zu bewertende- Aktion abwimmeln? Wäre nicht alles andere gegen die innere Logik des aufrechten und rechtschaffenden Menschen gewesen? Wie sonst soll man die Welt verbessern, wenn nicht mit gutem Beispiel vorangehen! Und die tausend Kameras des inneren Auges waren in dem Moment alle auf mich gerichtet, auf die göttliche Entscheidung, den Stift entweder zu nehmen oder ihn mit einem verächtlichen Blick fallen zu lassen.

Zum Glück wurde mir diese Entscheidung von der jungen Dame abgenommen, denn sie erkannte meinen aufschäumenden, inneren Kampf und drückte mir kurzerhand den Stift in die Hand und drängte mich nochmals freundlich, endlich mit meinem guten Namen meinen guten Willen auszudrücken.

Ich hielt den Stift, der alles entscheiden sollte, noch etwas fester und kritzelte hastig meinen Nachnamen auf die Liste, wo sich schon ca. 6 Leute vor mir eingetragen hatten. Noch schnell den Wohnort hinterher und fertig war es. Das war der jungen Frau aber nicht ganz genehm, denn sie verwies mich auf die letzte Spalte, wo es um die Höhe des Spendenbetrages ging. Vor mir hatten Leute schon 10 Euro oder 20 Euro eingetragen und da ich nun nicht dumm dastehen wollte, gab ich auch einen kleinen Betrag. Die Frau schäumte über vor Freude, betatschte mich überall, hielt meinen Arm fest und verhielt sich recht sonderbar. So schnell wie sie gekommen war, war sie dann auch wieder verschwunden.

Hinterher grübelte es sehr heftig hinter meiner Stirnseite und der Kampf des Gewissens war noch nicht ganz abgeschlossen. „Und wenn sie nun doch illegal waren? Sowas hört man ja immer wieder! Warnt Aktenzeichen XY oder andere Verbrauchersendungen nicht ständig vor solchen Trickbetrügern? Könnte ja auch eine ost-europäische Bande gewesen sein. Geschult im Erhaschen von Mitleid, schnell, von der Autobahn kommend und noch schneller wieder verduftend, und die mangelnde Polizeipräsenz ausnutzen und die Grauzonen des Gutmenschentum schamlos ausnutzen“. Je länger ich also über mein Verhalten nachdachte, desto ärgerlicher wurde ich. Im Grunde eine kleine Sache, die man schnell wieder vergessen konnte und die mich aber noch heute beschäftigt.

Zu Hause im Internet recherchierte ich noch kurz zum Thema und wurde in meinen anfänglichen Bedenken bestätigt. Man findet eigentlich überall und in großer Zahl Hinweise auf solche Betrügereien und überall wird gewarnt, ja nichts zu geben, weil es wahrscheinlich gefälchte Spendenaktionen sind. Die Wut über meine Dummheit und Naivität wurde immer größer. „Warum hast du nur was gegeben? Das Geld hätte man auch sinnvoller ausgeben können!“

Aber wenn ich das ganze Revue passieren lassen, dann bricht sich die Situation herunter, auf den genau einen Moment, bei dem ich in Millisekunden entscheiden musste „gut“ zu sein und etwas zu geben oder „böse“ und den kalten Knochen heraushängen zu lassen. In der kurzen Zeit war einfach kein Platz für eine längere Bewertung. Man konnte das „Gut“ nicht genauer definieren und musste die Entscheidung rein aus dem Bauch treffen. Ich hätte erst alle Fakten, alle Hintergründe wissen müssen. Ging es der Frau wirklich schlecht? War sie behindert? Wenn nein, warum wird sowas gemacht? Hätte sie es wirklich nötig gehabt? Hätte sie das Geld nur ihrem Boss gegeben? Hat der sich davon einen teuren Mercedes gekauft? Oder ist das nur ein frustrierter Arbeitsloser, der sonst nicht weiß, woher er das Geld nehmen soll? Hat der vielleicht vier Kinder, bekommt von seinem Staat aber keinen müden Euro-Cent? Ist er überhaupt in der europäischen Union? Sind solche Aktionen nicht etwas besser, als wenn man nur bettelt? Verdient nicht auch der Einfallsreichtum und das Talent so einer Aktion ein wenig Aufmerksamkeit?

In südamerikanischen Ländern findet man solche Bettelaktionen ja häufiger. Oder es kommen Kinder an der Ampel ans Auto gerannt und wollen die Scheiben putzen. Oder irgendeinen Plunder verkaufen. Man wird betascht, angemacht, angeschaut, bedrängt etwas zu geben. Soll man immer kalt bleiben? Das Geld zusammen halten? Grundsätzlich nichts geben? Können wir uns als „reiche Deutsche“ überhaupt leisten, geizig zu sein? Was sind schon 5 oder 10 Euro für uns? Kein Gedanke wert. „Geben ist seeliger als Nehmen“ heißt es so schön. Aber geben wir nicht schon genug Geld weg für Griechenland, für die Energiepreise, für Steuern, für Arbeitslose und für Großkonzerne? Wer will heutzutage schon freiwillig etwas geben, wo einem doch das meiste genommen wird und es der übliche Weg zu sein scheint, an Geld zu kommen. Die Lektion in der kapitalistischen „Gier-Gesellschaft“ scheint ganz einfach: Wer reich sein will muss das eigene Geld zusammenhalten und möglichst schauen, dass er von anderen viel erhält oder es ihnen mit Tricks und Einfallsreichtum wegnimmt. Der Trickbetrüger auf der Straße unterscheidet sich in seinen Grundsätzen nicht wirklich von überzogenen Gebühren der Banken, Energiepreis-Abzocke von Großkonzernen oder windigen Gesetzen, die von Klientel-Politikern über die Hintertür eingeführt werden. Nur dass die einen eher wenig und die anderen riesige Summen „verdienen“ oder wahlweise in den Sand setzen. Der ehrliche ist der Dumme. Wer nur gibt, ohne eine Gegenleistung zu verlangen, kann eigentlich nur verlieren… christliche Ethik oder Nächstenliebe kommt in dem Kontext einfach nicht vor.

Wenn ich über solche Aktionen nachdenke, dann komme ich zum Schluss, dass sie häufiger werden. In dem gleichen Supermarkt war mir vor zwei Monaten genau das gleiche passiert. Diesmal kamen sie in den Markt und sprachen die Kunden direkt an. Der deutsche Kunde ist etwas reserviert und meistens total überrumpelt über so eine „Offenheit“. Er möchte dann nicht kaltherzig erscheinen, außerdem ist soviel Trubel meistens unangenehm. Dann gibt man lieber etwas und hat seine Ruhe. Oder die Leute, die von Tür zu Tür ziehen und irgendwas sammeln. Selbst hier auf dem Land hat man sie ständig an der Klingel. Entweder es werden irgendwelche Dienstleistungen verkauft, die kein Mensch braucht, z.B. Scheren schleifen oder „Matratzenwäsche“ oder es gehen Handwerker herum, die fragen, ob was am Haus zu machen ist. Leider weiß man nie, ob es „richtige Handwerker“ sind oder ost-europäische Banden… Es gibt Leute, die wollen nur den „Wachturm“ verteilen, andere verkaufen Wäsche-Klammern, andere betteln einfach so. Und dann gibt’s noch die bösen Geister, die über das Telefon kommen und einem Dinge andrehen oder Daten sammeln wollen. An Sperrmüll-Tagen wird die Dorfstraße von einer – wie ein Hornissen-Schwarm surrenden Armee- weißer Lieferwagen überschwemmt, die den ganzen Tag die gleichen 200 Meter abfahren, in der Hoffnung ein altes Eisenrohr oder zwei Eisenbleche für den Schrottverkauf zu finden. Das Benzin, das sie dabei verfahren, wird die Verkäufe wahrscheinlich niemals aufwiegen, aber wen interessiert das schon, wenn es etwas „umsonst“ gibt?

Soll man jedesmal über alles nachdenken und sein Gewissen kämpfen lassen? Oder einfacher- den kurzen, praktischen, einfachen und abweisenden „bösen Weg“ gehen und alles kategorisch und mit Nachdruck abwimmeln?

Der Gute muss sich auch schützen können, indem er das Böse an der richtigen Stelle abwehrt. Wenn z.B. von Betrügern „im Namen des Guten“ gesammelt wird, dann schaden sie den wirklich Hilfsbedürftigen. Es entsteht dann die paradoxe Situation, dass es „gut“ ist, wenn man sich „böse“ verhält. So wie man einem bettelnden Kind auch nicht ständig Süßigkeiten gibt, sondern hart bleibt und erstmal das Gemüse aufessen lässt. Die Leute, die im Namen des „Guten“ sammeln, schaden auch dem gesamten Ansehen der Spendenbereitschaft, weil die Leute immer misstrauischer werden und immer mehr fragen stellen werden, bevor überhaupt irgendwas gespendet wird. Grundsätzlich nichts zu geben, scheint also auch keine gute Option.

Welcher Weg ist zu wählen? Wenn ich das wüsste, könnte ich den inneren Kampf endlich beenden und mich geruhsam zurücklegen…. Dann wäre es nicht mehr meine Sache, dann wäre nichts mehr zu entscheiden. Ich würde es mir gerne einfach machen… aber die Welt, mit der man täglich zu tun hat, ist meistens viel zu kompliziert. Und selbst der einfache Weg des „Guten“ kann manchmal falsch sein. Oder der Gute ist – geblendet und abgeschreckt vom Bösen- in der richtigen Situation nicht achtsam genug und verschläft seine Chance.

Am Tropf des Lebens

passender Song http://www.youtube.com/watch?v=JyKnYQYTuXI

Eingesogen, das pralle Leben in digitalen Buchstaben
in zahllosen Seiten
in grenzenlosen Datenmengen
tröpfelt es leise, aber beständig in die weit gedehnten
Blutgefäße.

Menschen, Blumen, Wiesen
Duft, Glanz und Liebe, soweit das Auge reicht

Grenzenlose Weiten
nur begrenzt von der eigenen Phantasie

Hast du eine Frage?
Mit einem Mausklick wird sie beantwortet

hast du ein schlechtes Gewissen?
Zwei Seiten weiter ist es behoben

Bist du einsam?
Hinter dem Link lauert deine Gesellschaft.

Brauchst du eine Meinung?
Der Kritiker steht bei Fuss.

Ist dir langweilig?
Brot und Spiele, soweit das Herz noch schlägt.

Und hoch schlägt es in weitem Rhythmus
nimmt uns gefangen in Ton und Klang.

Das Ende möchte ich nicht sehen,
das wird noch verdrängt.
nur der Moment ist wichtig,
der Rest bleibt einerlei.
………………………………….

Der einzelne ist unwichtig

Verscherbelt den Euro!
verbrennt alle Werte!
nehmt´s den Reichen!
versteckt euch vor den Besitzlosen!

spürt des Volkes Zorn,
baut Armeen aus Polizei auf,
schützt die Banken,
schröpft die Steuerzahler!

Heissa, wie sie da purzeln die Kurse,
da wird’s manchem schon Angst und Bang,
die fiktiven Werte, haben schon lange keinen Halt –
mehr im realen Leben.

losgelöst,
gesteuert von der blanken Phantasie
oder war´s eher die Gier?
entschwinden sie jeglichen Dimensionen.

Aus und vorbei

Jetzt ist die EM also vorbei, aus Sicht der deutschen Manschaft noch etwas früher als geplant. Der großen Begeisterung und dem allgegenwärtigen Fahnenmeer ist eine absolute Nulllinie der Enttäuschung und der Ernüchterung gewichen.

Das ist das seltsame am Sport und den damit verbundenden Emotionen: Sie sind alle auf ein Ziel hin gerichtet und sind dabei sehr exklusiv. Nur der Sieg zählt, alles andere ist unwichtig. Liest man die entsprechenden Zeitungsartikel zum letzten Spiel und der Mannschaft im Allgemeinen wird mit deutschester Gründlichkeit noch jeder so kleiner Fehler analysiert und darauf herumgeritten. Dass die deutsche Mannschaft auch ein paar erfrischende Tugenden aufweisen konnte, freundliche und nette Spielercharaktere vorweisen konnte, sich mit dem Glanz des Multikulturellen schmückte wie sonst keine zweite im Turnier- all das ist jetzt nicht mehr wichtig. Die Fahnen im Vorgarten, auf den Außenspiegeln und an der Antenne wurden so schnell wieder abgerupft, wie sie gekommen sind.

Es ist anscheinend nicht möglich, den dritten, bzw. vierten Platz irgendwie als etwas positives zu sehen… ich freute mich noch auf das „Spiel um Platz drei“ bis ich merkte, dass es dieses in der EM (im Gegensatz zur WM) anscheinend nicht gibt. Wer also dritter oder vierter geworden ist, kann man gar nicht genau sagen und das interessiert eigentlich auch niemand. Noch schlechter wird es heute abend dem zweiten gehen… der wacker bis zum Schluss gekämpft hat und doch „nur“ zweiter geworden ist.

Aber warum konzentriert sich unser gesellschaftliches Wertesystem so sehr auf den Sieger? Warum ist es nicht möglich, die Siege der anderen mit in die Freude aller einzubeziehen? Wenn Fußball so interpretiert wird, dann offenbart er etwas sehr archachisches und im Grunde einen Kontrapunkt zu unserem modernen Wertesystem, wo es um Kooperation, Teamarbeit und Ausdiskutieren von Entscheidungen bis ins letzte Detail geht, die Hierarchien flach sind und eine Frauenquote möglichst für eine Untermischung von allzu einseitigen (patriarchalen) Strukturen sorgen soll. Dass „die Mannschaft der Star ist“, interessiert nach einer Niederlage keinen mehr und schon wird wieder am Konzept gezweifelt und ob man nicht doch ein paar Führungsspieler mehr gebraucht hätte. Ich gebe zu bedenken, dass auch das junge Alter der meisten Spieler, das einseitige Fokussieren auf mental geschwächte Bayern-Stars und die sprunghafte Umstellungs-Taktik des Trainers nicht nur vorteilhaft gewesen sind…

Vielleicht ist das auch der Grund, warum Fußball derzeit (und im Allgemeinen) so beliebt ist. Im Fußball kann man noch seiner „wahren“ Natur nachgeben, die noch nicht so übersättigt vom demokratischen Wertesystem und der – manchmal einschnürenden- „political correctness“ ist. Man kann einfach mal „die Sau rauslassen“ , sich offen zu seinem Land bekennen und dicke Tränen weinen, wenn der „Großsieg“ über die anderen „Nationen“ nicht erreicht wurde. Letztendlich bietet das Erleben mit anderen auch eine nicht zu unterschätzende „identitätsstiftende Wirkung“.

Was leistet der einzelne schon, wenn er vorm Fernseher sitzt und die Spiele anschaut? Am Sieg oder der Niederlage hat er keinsten Einfluss, doch wird ein Sieg geschafft, ist die Freude so groß, als ob es ein eigener wäre…

Aber all die Freude, die dieses rauslassen und offene Zeigen von Ur-Emotionen mit sich bringt (inklusive lauter Tor-Brüller vor dem Fernseher und kaum auszuhaltendes Mitzittern bei einem Rückstand)…. bringt bei einer Niederlage nur das gegenteilige Extrem: Depression, Niedergeschlagenheit, Wegbrechen von projizierten Idealen und Größen-Phantasien.
An die Stelle der puren Begeisterung, die nichts anderes mehr kennt als sich selbst und den Siegesrausch, treten wieder deutsche Tugenden und das bekannte Einerlei: Suchen von Fehlern, suchen von Schuldigen, Abwenden vom Verlierer, kleinteiliges Rumnörgeln und überhaupt „war die ganze EM scheiße“ und endlich sind „die grölenden Fans vor meinem Fenster weg“.

Der Mann ist nur ein Mann, wenn er Siege, vollen Einsatz und Körperbetonung zeigt. Beim Kampf um die einzige Eizelle in ganz Europa gibt es viele Verlierer. Und die goldende Trophäe, die Fruchtbarkeit, Liebe und ein ewiges Leben bringt, darf am Ende nur einer mit verschwitzten Fingern in den Himmel heben… Jungs, für all diese Verlockungen hättet ihr euch aber wirklich mehr anstrengen können!

Was zurück nach Deutschland reist, sind geschlagene Helden, Verlierer, deren Namen wir morgen schon wieder vergessen haben…

Bei der Rückkehr der deutschen Mannschaft waren am Flughafen ca. 50 Fans anwesend (Quelle: Radionachrichten), wobei es in Hochzeiten des Public Viewing Hunderttausende in Berlin und 28 Millionen vor dem Fernseher gab. Die Blase ist geplatzt, die klatschnassen Pudel verziehen sich vom gut bezahlten Rasen-Spaziergang in ihre wohlverdienten Sommerferien…

Nur, was für ein Glück… in zwei Jahren geht das ganze Spektakel wieder von vorne los!

……………………………………….

Auch noch Lesenswert:

Bahnfahren am 10. Juni 1891

Ich zeigte dem Damenbesuch aus der fernen Alpenmonarchie Österreich noch gerade den neu gebauten Bahnhof in der Arbeiterstadt Ludwigshafen, als wir schon das ferne Pfeifen der Eisenbahn vernahmen. Die Polizei-Beamten mit der glatt-gebügelten Uniform sahen uns mit strengem Blick an und ermahnten uns, den Gleisen fern zu bleiben. In unlängster Zeit gab es nämlich einige Zwischenfälle mit spielenden Kindern, die allzu forsch auf die Gleise gerannt waren und dem Lokführer, sowie den mitfahrenden Gästen einiges an Schrecken eingejagt hatten. Wir eilten, ihren Befehlen folgend, zur wartenden Lokomotive und den zahlreich angehängten, frisch gestrichenen Personenwagen.

Die mitreisenden Damen hatten lange Gewänder aus teurem Tuch an und so mussten alle Rücksicht nehmen und Ihnen beim Einsteigen auf die beschwerlichen und hoch gebauten Stufen helfen. Ich war so nett und hielt so lange die Sonnenschirme und Taschen der lustig-schnatternden Reisegruppe. Ein Schaffner mit sehr großer Mütze ermahnte uns, ein wenig zügiger in den Zug zu kommen, da man doch den Fahrplan gerne einhalten würde. Zum Glück hatte man extra eine eigene hölzerne Bank vor die steil aufragende Bahnleiter gestellt, so dass der Schritt bis nach oben nicht so groß sein musste.
Wir erklommen das Abteil und fanden einen freien Sitz auf den recht harten Bänken. Ein Kissen hatten wir leider nicht mitgebracht. Die Koffer waren uns vorher schon abgenommen worden und in den Gepäckwagen gebracht, so dass wir alle anderen, kleineren Täschchen unter die geräumige Ablage unter unseren Füßen schieben konnten. Auch die Sonnenschirme fanden dort ihren Platz. Ausnahmsweise war es heute erlaubt, die Waggons gemischt zu besetzen, da der Zug sehr voll wurde und der Fahrplan noch nicht regelmäßig angefahren wurde. Ansonsten fand natürlich immer eine strenge Trennung der Geschlechter statt. Die Herren mussten Gespräche über Arbeit und Politik führen und wollten dabei nicht gestört werden- während die Damen für sich die allerneusten Neuigkeiten aus der Kinder- und Familienwelt austauschten.

Es dauerte nicht lange und ein weiteres, sehr lautes Pfeifen der Lokomotive erschall von ganz nah an unseren Ohren. Welch unangenehmer Ton, der da mit Dampfkraft erzeugt wurde! Manche Damen erschraken und fuhren zusammen. Das Abteil war bis auf den letzten Platz voll gefüllt und die Stimmen verstummten für einen kurzen Augenblick. Alle Gäste schauten wie gleich gerichtet nach vorne, in Richtung des dampfenden und schnaufenden Stahl-Rosses, das sich nun langsam in Bewegung setzte. Noch ein weiteres Pfeifen und die Fahrt wurde schneller. Die Polizisten zogen an uns vorbei, stramm am Platze stehend und würdigten der vorbei fahrenden Bahn keines Blickes.

Ich hatte einen guten Platz am recht kleinen Fenster ergattert und schaute still in mich hineindenkend nach draußen. Da mir durch die viele Sonne des Tages etwas warm geworden war, hätte ich gerne das kleine Fenster nach oben geschoben, doch es war sorgsam verriegelt worden, damit man während der Fahrt nicht zuviel vom Rauch und Dampf in das menschen-gesättigte Abteil bekam. Freilich kam durch die sich ständig öffnende Tür zur Außenplattform noch genug Luft von draußen hinein.

Es rumpelte immer kräftiger und heftiger, als die Lokomotive Fahrt aufnahm. Der Wagen schaukelte über die Schienen und die reibenden Geräusche von Stahl auf Eisen wurden lauter und lauter. Das Schnattern der Reisegruppe wurde etwas leiser und ich beobachtete aus einem Augenwinkel vorsichtig die Mienen der mitgereisten Damen. Mir schien, einige sahen ängstlicher und bleicher aus, als sonst. Und auch die redseeligste unter ihnen wurde immer wieder leise und vergaß, einen neuerlichen Witz zu Ende zu erzählen. Auch die Forsche und Älteste unter ihnen war stiller als sonst. Für viele war es die erste Fahrt mit der Eisenbahn überhaupt.

Für mich freilich war es kein Problem, da ich als Handelsreisender schon viele solcher Reisen unternommen hatte und ständig in anderen Städten sein musste, um neue Verträge auszuhandeln. Auch wenn uns die Telegramme schon viel Arbeit abgenommen hatten, so musste man die meisten Dinge doch selbst erledigen. Und es ging eben nichts über ein mündliches Gespräch von Mann zu Mann.

Schon bald zog die neu gebaute badische Anilin- und Sodafabrik an uns vorbei, die sich erst von der Schiene aus gesehen, die auf einem leicht erhöhten Bahndamm verlegt worden war, in ihrer ganzen Vielfalt und Größe begreifen ließ. Ab dann erreichten wir die Außenbezirke von Ludwigshafen, die Landschaft wurde grüner, weite Felder und Wiesen lösten das eng bebaute Stadtbild ab. Unser Weg nach Frankfurt war lang und wir nahmen die Gespräche wieder auf.

Es dauerte keine halbe Stunde, als die erste der Damen etwas ungeduldig wurde und nach etwas zu Essen fragte. „Ob es denn kein Speiseabteil gäbe?“ Wollte sie wissen, denn von einem Schwager hatte sie gehört, dass man an manche Züge ein solches herangehängt hätte und dies „recht angenehm, gerade bei längeren Strecken“ wäre. Eine andere merkte noch an, dass der Zug im Vergleich zur Postkutsche doch etwas bequemlicher sei und sie sei überrascht und erfreut über die hohe Geschwindigkeit. „60 Kilometer in der Stunde! Das ist ja gewaltig!“ rief sie mit großen Augen hervor, als ich ihr die Konditionen der Bahn erklärte und konnte ihren Blick danach kaum noch von den vorbeiziehenden Häusern und Feldern abwenden.

„Nun denn“ merkte ich an zu der hungrigen Vertreterin, die mich nun immer kritischer musterte und ihre Abneigung und Unlust über diese Reise nicht ganz verbergen konnte. „Es wird nicht ganz so lange dauern, liebe Rosalinde, ich bin ganz sicher. Für unsere Reise sind nur drei Stunden veranschlagt und wenn ich dem Lokführer noch zurufe, dass er ein paar Kohlen zusätzlich in den Kessel wirft, geht es vielleicht noch ein paar Minuten schneller.“

Bald schon lief unser Reisezug in den ersten Bahnhof einer Kleinstadt ein. Von überall rannten Kinder auf den Feldern zu unserem Zug hin und jubelten begeistert. Die Strecke war recht neu gebaut worden und viele von ihnen hatte noch niemals eine echte Bahn gesehen. Der Aufenhalt im Bahnhof war recht kurz und schon bald wurde die Reise fortgesetzt.

Es war ein schöner Tag, dieser Tag in der Eisenbahn. Als wir endlich, nach mehreren Stunden, in der fernen Stadt ankamen, war unsere Kleidung zerknittert und die Damen klagten schon über die harten Bänke und wann es endlich etwas zu trinken gäbe? Man sollte wohl doch bald eine Unterkunft suchen, da die Müdigkeit von ihnen Besitz ergriff. Da ich viel auf der Außenplattform gestanden und mir der Fahrtwind um das Gesicht geblasen hatte, strich ich mit dem Finger prüfend über das Gesicht.

Er war ganz schwarz verfärbt vom Ruß… so dass auch ich Erleichterung verspürte, dass diese Reise endlich beendet worden war und mich auf ein anschließendes Bad freute.

Was der morgige Tag wohl bringen würde?

Das Markenprodukt

Zugegeben, der ARD Markencheck war bis jetzt eine recht informative Reihe, von der ich alle Folgen geschaut habe.

Ob adidas, dm, H&M oder Coca Cola stets hat die Sendung ein paar neue, interessante Fakten zum Vorschein gebracht.

Besonders erstaunt hat mich die psychologische Wirkung von Marken. Das ein Produkt tlw. viel höher oder besser eingestuft wird, nur weil es eine Marke ist. So haben die Test-Personen im adidas-Check das Markenshirt durchweg besser und „hochwertiger“ eingestuft, obwohl man nur ein paar Streifen draufgenäht hatte und es eigentlich ein Noname-Produkt war! Der Mensch hat eben nicht die ausreichenden Fähigkeiten, komplexe Urteile über Qualität zu fällen und auf Grund dieses faktischen Mangels an Objektivität greift man automatisch (unbewusst) auf das Marken-Urteil zurück. Der Druck der Massenpsychologie und der Gruppe verstärkt diesen Effekt („Oh, die andere Testgruppe hat das gute T-Shirt“ – je mehr man sich dann in vermeintliche Unterschiede reinsteigert, desto größer wird der gefühlte, aber eigentlich nicht vorhandende Unterschied).

Aber selbst die sportlichen Leistungen, bzw. die Selbst-Einschätzung darüber, war bei dem vermeintlichen Markenprodukt besser. Bei den Sportschuhen und den Fußbällen gibt es aber auch messbare Unterschiede und Qualitätsverbesserungen bei teuren Markenprodukten. So waren die Flugeigenschaften der Markenbälle tatsächlich ein wenig besser und von Experten auch eindeutig zu erkennen. Die Laufeigenschaften und Bequemlichkeit von teuren Schuhen waren besser als die billigen Vergleichsprodukte. Gerade an den empfindlichen Füßen fallen solche Unterschiede besonders auf.

So vermischen sich tatsächliche Unterschiede, die durch teure Forschungsarbeit und echte Qualitätsverbesserungen geleistet werden und die Werbe-Wirkung der Marke auf eine sehr verstrickte Weise, die der Verbraucher nur schwer durchschauen kann.

Wenn Kinder nach dem besten Ball gefragt worden sind, tendierten sie meistens zu dem adidas-Ball mit der einfachen Begründung „weil die da im Fernsehen bei den großen Spielen den auch immer benutzen“. Das ist zwar kindlich argumentiert, wird aber auch bei manch großem Menschen noch tendenziell nachwirken. Wenn man etwas nur hinreichend oft sieht oder viel darüber gesendet wird, empfindet man es automatisch als vertrauter und somit auch als hochwertiger.

Schwierig war hingegen die stoffliche und optische Unterscheidung der Marke vom Plagiat. Eine Sache, die den Herstellern bestimmt einige Kopfschmerzen bereitet. Denn: Wenn eine Marke gut und etabliert ist, dann lädt sie auch umso mehr zum Nachmachen nach. Fremde Federn stehen halt sehr gut..

Nur der längere Wasch-und Gebrauchstest hat deutliche Unterscheide zwischem Plagiat und Original aufgezeigt. Das Original ist farbstabiler und verliert die Form nicht. Bei dem einfachen Ersteindruck-Test hingegen versagten die meisten Passanten, die man in der Fußgängerzone befragte.

Auffällig ist am Schluss noch das „Fairness“-Kriterium, dass man bei fast allen Marken untersucht hat. Fast alle großen etablierten Marken, aber vor allem die Kleidungsindustrie, haben hier noch großen Nachholbedarf.

Tlw. beträgt der Lohnkostenanteil eines Marken-T-Shirts magere 10 Cent, das Endprodukt steht dann aber im Verkauf für 60 oder 70 Euro. Da fragt man sich schon, warum der Anteil für die Arbeiter nicht erhöht werden kann? Warum die teuren, europäischen und westlichen Marken die Vorteile der Globalisierung so schamlos ausnutzen und sich so wenig verantwortlich fühlen? Denn ihre Armut ist auch unser Problem!

Andere Markenchecks zu Kleidung haben zudem gezeigt, dass es fast unmöglich ist, ein Produkt zu erwischen, welches nicht in einem Billiglohnland produziert wurde… da müsste man schon auf sehr spezielle Marken mit entsprechendem Gütesiegel zurückgreifen oder vielleicht das „nur in Deutschland produzierte“ Konkurrenzprodukt.

Diese Schattenseite der Produktionswege kann durch Werbung und im Konsum-Alltag gut verschleiert werden. Daher sind solche Dokumentationen recht hilfreich, um die Hintergründe zu begreifen und eigene Kaufentscheidungen zu überdenken.

Haben oder Verlieren

Jahr: 2011, Frankreich
Regie: Mona Achache
Drehbuch: Eric Guého und William Wégimont

Um Sinnsuche und Werteverschiebungen durch die Finanzkrise ging es auch in dem französischen Spielfilm „Um Bank und Kragen“, der vor ein paar Tagen auf ARTE ausgestrahlt wurde. Wie ich gerade beim Recherchieren feststellte, kann man ihn komplett (auch in HD) im Mediaplayer und online anschauen, außerdem wird er am 11. Mai um 15 Uhr wiederholt, laut ARD Webseite auch noch am 30.05. um 15 Uhr ((http://programm.ard.de/Homepage?sendung=287247747333319 )).

Kurz gesagt, geht es bei dem Film um zwei sehr unterschiedliche Familien, die sich vor allem durch den Beruf und den finanziellen Background unterscheiden. Die reiche Familie des Finanzinvestors Deville, der vor allem durch Entlassungen Geld verdient und die gering verdienende Familie, am unteren Ende der sozialen Skala, mit der Friseurin Ricci und ihrem arbeitslosen Hausmann. Die Entwicklung dieser beiden Familien wird diagonal gegenübergestellt: Während die reiche Familie durch den Jobverlust plötzlich in Armut und Arbeitslosigkeit rutscht, hat die arme Familie eine einzigartige Geschäftsidee und steigt quasi über Nacht zum erfolgreichen Internet-Startup mit Macht und Einfluss auf. Daraus ergeben sich jeweils ganz eigene Probleme. Während die ehemals reiche Familie sich in der neuen Welt nur mühsam zurecht findet und vor allem von Freunden und Geschäftspartnern enttäuscht wird, weiß die arme Familie zuerst gar nicht, wohin mit dem Geld oder der Frage, wie der neue Neid und die Missgunst von anderen bekämpft werden kann. Auch persönliche Probleme und Auseinandersetzungen mit den anspruchsvollen Kindern werden ausgiebig ausgebreitet. Veränderungen von außen erschüttern gleichermaßen das inner-familiäre Wertegefüge.

Im letzten Drittel der Geschichte treffen diese beiden Familien aufeinander und erleben weitere Verwicklungen. Der Film endet mit einem eher offenen Ende und ist insgesamt als Zeit-Portrait der französischen Gesellschaft in Zeiten der Finanzkrise zu sehen.

Insgesamt hat mir der Film sehr gut gefallen, was an mehreren Gründen liegt: Zum einen ist das Thema hochbrisant und aktuell. Es gibt eigentlich nur wenige künstlerische Umsetzungen der Finanzkrise, was angesichts ihrer großen Auswirkungen für die gesamte europäische Gesellschaft (und darüber hinaus) verwunderlich ist. Vielleicht hinkt der kritische Zeitgeist einfach noch hinterher oder die Leute, die Filme machen sind selbst zu wenig davon betroffen, als dass sich spannende oder gar gesellschaftskritische Plots entwickeln könnten. Außerdem ist der Film sehr lustig und satrisch angehaucht- es vergehen keine zwei Minuten, in denen man über die grotesken Situationen und zackigen Dialoge nicht schmunzeln oder lachen muss. Das Erzähltempo ist angenehm temporeich, aber noch gut begreifbar. Die Kameraeinstellungen sind angenehm ruhig und nicht zu hektisch. In erster Linie nimmt der Film unser eigenes materielles Denken genau unter die Lupe- sowie die persönliche Skrupellosigkeit bei den einzelnen Mitgliedern der Gesellschaft, was bis hin zu den Kindern geht, die ihre Eltern einen Kredit geben und kurzerhand das Kinderzimmer zur Pfandstube umfunktionieren. Natürlich bekommt auch der Bank-Berater, der fett und selbstverliebt in seinem bequemen Bürostuhl sitzt und zu den persönlichen Problemen der „kleine Kunden“ oft nur müde lächelt, sein Fett weg. Aber die Klischees in diesem Film gehen weiter: jeder ist irgendwie betroffen, jeder hängt mit drin.

Die Schauspieler spielen sehr gut, allen voran die beiden weiblichen Hauptrollen, besetzt von Pascale Arbillot und Lolita Chammah. Jeder dieser Frauen geht zuerst in ihrem eigenen Leben perfekt auf und beide vollziehen einen Wandel in entgegengesetzte Richtung. Als sie am Ende aufeinander treffen, spielen sie die Feindseligkeiten, aber auch die Gemeinsamkeiten ihrer Biografie sehr überzeugend.

Die Männerrollen und die der Kinder sind ebenfalls gut besetzt und tragen zur Authentizität dieses lustig-satirischen Dramas bei.

Negativ ist mir nur der Schluss aufgefallen, bei dem zuviel zusammengefasst wurde und die Zeit arg gerafft wurde. Hier hat man versucht mit Hochtempo noch ein paar dramatische Wendungen einzubauen, die dann aber doch aufgesetzt wirken. Das angenehme Tempo des Anfangs wird dann plötzlich fallengelassen und durch große Sprünge ersetzt. Das offene Ende mit den vielen Fragezeichen passt ebenfalls zu dieser dramaturgischen Miss-Harmonie. Vielleicht gab es hier ein paar Probleme bei der Umsetzung des Buches und die Zeit, die man am Anfang großzügig für die Erzählung der Geschichte verschwendet hat, fehlte dann am Ende; vielleicht war es aber auch beabsichtigt.

Insgesamt ist der Film aber sehr gelungen und vor allem sehr witzig. Er erlaubt es an Stellen zu lachen, die eigentlich nicht lustig wären und lockert die Verkrampftheit und das Schweigen mit dem man aktuell auf Entwicklungen der Finanz- und Eurowelt schauen kann. Dabei nimmt er den Blick nie zu weit von den persönlichen Schicksalen und Entscheidungen und bleibt dadurch durchweg sympathisch und sehenswert.