Das Matriarchat in Dir

Jetzt bekommt mein „Internet-Tagebuch“ mal wieder Sinn, denn bei mir passiert im Moment recht viel. Wie bei empfindlichen Menschen so üblich, passiert das meiste „im Inneren“ und bedarf daher einer besonderen Aufmerksamkeit und Pflege der eigenen Gedanken. Wenn ich so recht überlege, hat mein Tagebuch (egal ob offline oder online) seit 2001 nie einen anderen Zweck gehabt. Ich versuche in dem Text einen Bogen zu spannen von den eher globalen, größeren Themen hin zu den kleinen Alltagsthemen..
Klar spielt bei mir die Transidentität im Moment eine große Rolle, es ist aber nicht alles was wichtig ist. Die TI ist mehr eine Verbindungsstelle zu den großen Lebensthemen, darüber hatte ich ja auch schon im Artikel „Der Lebensweg“ geschrieben.
Es ist nur natürlich, wenn man diese anstößt, dass gleichsam alle anderen Themen mit angestoßen werden und „ins Rollen kommen“.

Jeder Mensch hat ja diese sexuellen Themen, die meistens auf Grund von Angst oder Unsicherheit verdrängt werden. Aber die eigene Sexualität ist zu wichtig, als sie zu verdrängen oder zu glauben, dass sich die Probleme und Konflikte im Sexualleben „von selbst“ lösen.

Wenn ich mir die Gesellschaft und die Welt so ansehe, dann hab ich oft das Gefühl, dass sie voller Angst, Neid, Hass und schlechter Gefühle ist. Es wird zu wenig geliebt! Die Menschen kanalsieren ihre negative sexuelle Energie (denn nichts anderes ist Hass) und bekämpfen sich gegenseitig. Wieviel besser wäre es, wenn wir nicht durch die Lösungsmöglichkeiten der Schimpansen (Krieg, berechnete Auseinandersetzung, Konkurrenz) in unseren Genen wecken würden, sondern auch die eher friedliche Herangehensweise der Bonobos die Konflikte in den Gruppen meistens durch Sex und Zärtlichkeiten lösen.

Ich hab die Woche versucht, meine eigene Einstellung zu verändern. Es ist etwas leichter als sonst, weil ich mich durch den erhöhten Östrogen-Spiegel „weiblicher“ fühle, aber auch viel mehr bei mir selbst und glücklicher bin. Ich bin mehr an der entwickelten Persönlichkeit, die die Natur für mich geplant hat (mit Aussuchen ist da nicht viel).
Interessant fand ich mal wieder „Die Kunst des Liebens“ von Erich Fromm. Diese Buch ist mir ein guter Wegweiser, weil darin z.B. steht, dass Liebe immer ein aktiver Schritt ist. Um also „geliebt zu werden“, muss man stets selbst den ersten Schritt gehen und anderen Menschen Liebe und Aufmerksamkeit entgegen bringen. Wie gesagt, das ist viel leichter, wenn man sich selbst weiblich fühlt. Dann macht man von sich aus mehr für andere, ist hilfsbereiter, etwas sanfter und friedlicher eingestellt und die revolutionären Krawallgedanken verschwinden in den letzten Winkel des Gehirns. Es fühlt sich dann „natürlicher“ an. Ich hinterfrage die Dinge auch nicht mehr so stark, sondern fühle mich eher voller Liebe und bin auch von selbst ganz bereit, diese Liebe zu teilen und anderen zu geben. Die Hintergedanken (was kommt zurück? werde ich auch geliebt?) verschwinden fast völlig und spielen kaum noch eine Rolle. So lebt es sich eindeutig einfacher und ausgeglichener. Ich habe einen Frieden mit mir selbst geschlossen und bin jetzt einfach „ich“.

Erich Fromm betont in seinem Buch, dass es einen starken Unterschied zwischen dem Partriachart  und dem Matriarchat gibt und dass die Systeme sich grundlegend unterscheiden. Ich will weder das eine oder das andere „schlecht“ oder „gut“ reden, aber es sind doch Unterschiede zu erkennen. Das Matriarchat beruht mehr auf Gegenseitigkeit, auf Gleichwertigkeit der Individuen, auf Anerkennung untereinander. Die Mutter liebt alle, bedingungslos, ohne zu fragen, die Liebe ist einfach da… beim Partriachart ist es eher so, dass man sich die Anerkennung „verdienen“ muss, dass das Vorankommen hier mehr auf Arbeit, auf Anerkennung durch Leistung, aber auch auf Ehre und Stolz basiert. Wahrscheinlich haben wir auf Grund unserer Eltern beide Elemente in unserem Verhalten und in den Genen. Aber wie ist die Gesellschaft beschaffen? Wenn ich mir so meine Facebook-Kontakte, aber auch die Leute in echt so anschaue… was fehlt? Es ist die Liebe und Anerkennung zwischen den Menschen. Vor allem die, die frei und ohne Hintergedanken ist. Die wirkliche, menschliche Wärme, das Mitgefühl und das „Zuhören können“ ist immer eine kostbare Ressource (Und, obwohl das so ist, wird sie im kapitalistischen System schlecht bezahlt). Jeder ist mit sich beschäftigt. Wenn ich in einen Chat mit jemand gehe, bombardiert der mich erstmal mit seinen Problemen, seinen Bildern und seinen Konflikten und erwartet wie von selbst, dass ich alles für ihn löse.
Ich bin freundlich und höre bereitwillig zu. Ich gehe auf seine Probleme ein und versuche wirklich eine Lösung zu finden. Es kostet mich Zeit und Nerven, die ich jemand anders gebe (ohne zu fragen, warum). Am Ende frage ich ihn noch, ob er vielleicht meine Freundschaftsanfrage beantworten möchte… es kommt keine Antwort darauf und die Anfrage bleibt leer im Raum stehen. Er hat ja das bekommen, was er will, warum noch etwas zurück geben?
Es besteht zu wenig Aufmerksamkeit für den anderen. Wir sind alles zu große Egoisten geworden. Das eigene Matriarchat in uns verkümmert…

Was die Gesellschaft also eindeutig benötigt, ist mehr Weiblichkeit. Die Weiblichkeit an sich muss wieder groß geschrieben werden. Das bedeutet jetzt nicht, dass alle Frauen wie Männer werden (was ja lange Zeit die eigentliche Verheißung des „Feminismus“ und der „Emanzipation“ war)…oder die Männer nur noch schwächlich und angepasst sein sollen- sondern dass man Weiblichkeit, Mütterlichkeit, Mitgefühl, Vertrauen und Wärme wieder als alleinstehende Werte erkennt und diese in der Gesellschaft integriert. Wie kann man das am besten machen und was ist die kleinste Keimzelle der Gesellschaft? Es sind die Individuen mit ihrem individuellen Verhalten, also jeder Mensch, ob Du oder ich… Menschen sollten wieder stolz sein, weiblich zu sein und sich weiblich zu verhalten. Es ist keine Schwäche, sondern eine große Stärke, die oft unter Hass, Neid, Gier, Kapitalismus und Konkurrenz vergraben wird. Diese negativen Eigenschaften der Gesellschaft sind für sich genommen nicht „männlich“ oder „weiblich“, sondern meistens ein Zeichen, dass im Geschlechtergefüge etwas durcheinander geraten ist.

Und diese „Weiblichkeit“ ist ein universeller Wert, den jeder erlernen kann. Egal ob Mann, Frau oder Transgender. Wer seine Weiblichkeit akzeptiert und erkennt, erkennt auch die eigene Männlichkeit.
Und wer beide Werte in sich entdeckt und akzeptieren kann, der findet am Ende zur Menschlichkeit.

Erinnerung- Teil 2

Musik:  NirvanaSchool / Rape me,
PaniqI cry about you every day, Kungfusion

Über mein 20jähriges Klassentreffen (das erste)

Da steht er der alte Bau. Verschandelt mit hässlicher Dekoration. Bis zur Unkenntlichkeit verbarrikadiert. Einlass-Kontrollen und Energie-Ausweise. Die freie offene Treppe zur Herrlichkeit des Geistes mit Bürokratie zugebaut. Über den Hof kann man nicht mehr frei gehen da steht jetzt ein massives, abgeschlossenes Tor.
Nur die Raucherecke sieht noch aus wie früher. Wieviele Stunden wir da verbracht haben! Die einzige freie Zeit in einer durchorganisierten und geplanten Zeit, in der andere für Dich entschieden haben, womit Du Dich beschäftigen sollst.

Und nun kommen wir an, alle 20 Jahre älter geworden und der ganze Schrecken von früher kann uns nur noch ein Lächeln entlocken.
„Allein der Geruch da drinnen…! Ich wäre am liebsten sofort wieder rausgerannt“ erzählt mir eine Freundin von einer Episode mit Ihren Kindern in diesem Gebäude. Die Widerstände sind also noch da. Die negativen Erlebnisse wie auf einer Festplatte fest gespeichert. Man kann sie nach Belieben hervorholen oder in einen „neuen Ordner“ packen. Vielleicht noch auf eine andere Platte verschieben. Nur löschen geht nicht ganz.

Und dann erlebe ich noch etwas, das ich ganz vergessen habe. „Es handelt mich“, anders kann ich es nicht beschreiben.
Ich sage plötzlich Dinge und reagiere auf Menschen, ohne darüber nachzudenken. Mir rutscht ein Kompliment nach dem anderen heraus und alles liegt mir auf der Zunge. Wo ist die coole Zurückhaltung von früher? Nur keine Gefühle zeigen, man könnte sich ja in eine unangenehme Situation bringen. Und ich bin auch tatsächlich überrascht von der positiven Reaktion anderer Menschen auf mich. Die meisten erkennen mich nicht. Ich muss jedes Mal mein Sprüchlein aufsagen, was denn alles passiert ist und wie ich früher geheißen habe und warum sich manche Vorzeichen geändert haben, aber ich immer noch der gleiche Mensch wie früher bin. Das will mir keiner glauben. 😉 Neugierige Blicken lasten auf mir, ich hätte mich doch chicer machen sollen, wo ich jetzt so im Rampenlicht stehe. Wobei mir auch die Natürlichkeit auch wichtig ist und ich eben so bin, wie ich bin.

Ich frage mich, was ich gemacht hätte, wenn schon früher alles anders gewesen wäre. Dann hätte ich einen ganz anderen Freundeskreis gehabt. Ich setze mich mit den Männern von früher an einen Tisch. Es ist genauso wie früher. Die gleichen Sprüche, die gleichen Witze, die gleichen genervten Blicke oder die freudigen Überraschungen und lustigen Einfälle. Nur ich bin anders. Ich vertrage nix mehr. Nach drei Gläsern Sekt habe ich schon genug und will auf Wasser umsteigen.

Dafür werde ich blöd angemacht und muss mir einen Spruch anhören „was, jetzt schon mit Wasser?“. Ich gucke auf die Uhr, es ist vielleicht 21 Uhr und ich denke daran, welcher Film zu Hause gerade im Fernsehen läuft. Die anderen scheinen sich recht wohl zu fühlen und haben alle viel Ausdauer. Die ganze Situation hat etwas Aufkratzendes, bewegendes, belebendes.
Einer der krassesten Erlebnisse, die ich in der letzten Zeit so durchgemacht habe. Es ist alles anders, die Welt bewegt sich, verändert sich und man ist mittendrin. Kein Stein bleibt auf den anderen. Das Leben ist ein Kontinuum und alles festes kommt uns nur so vor, weil wir so langsam denken und keine Vergleichsmöglichkeiten haben.

Ich gehe zu einer Zweiergruppe mit Mädchen, die den gleichen Vornamen wie ich tragen. „Na, da hast Du Dir aber einen hübschen Vornamen ausgesucht“ lächelt mich die eine an. „Den besten der Welt“ muss ich freimütig zugeben. Dann verwickeln wir uns schnell in interessante Gespräche. Hier ist sie also. Meine neue Clique. Mein neuer Bezugsrahmen. Ich bin mir sicher, wenn ich mit Ihnen damals mehr als drei Tage in der Schule gesessen hätte, wären sie auch heute noch meine besten Freundinnen.
Und ich mäandere wieder zwischen den Welten, kann mich nicht so recht entscheiden, wen ich jetzt cooler finde und wo ich mehr Gemeinsamkeiten finde.

Die Männer von früher haben sich zum Teil stark verändert. Viele sind kräftiger geworden oder haben mehr Gewicht.
Bestimmte Züge von früher kommen jetzt noch mehr zum Vorschein. Die gewonnene Lebenserfahrung merkt man vielen deutlich an. Nicht auf den ersten Blick, aber wenn man genau hinhört und hinschaut. Alles fühlt sich reifer an. Es ist mehr Reue im Spiel. Von dem Ausgeflipptsein von früher ist nicht mehr viel übrig. Alle sind sehr beherrscht, fast könnte man meinen, sie haben Angst wieder in in ihre alte Rolle zu fallen. Das finde ich fast ein wenig traurig, weil ich doch gerade diese Jugendlichkeit, die wir durch gemacht haben, sehr reizvoll fand. Aber man kann sie nicht bewahren. Sie verändert sich, sie entwickelt sich und an ihre Stelle treten neue Verhaltensweisen.

Viele Mädchen sind zur Zeit in der Familien-Gründungsphase. Viele haben Kinder und Partner mitgebracht. Es wirkt bei vielen sehr harmonisch, viele sind glücklich, so ist mein Eindruck. Über den Beruf und die Karriere wird auch geredet, aber nicht mehr so intensiv wie früher, als man sich die Karrierepläne ausgemalt hat und alles noch vor einem lag. Die Streber von gestern sind auch heute noch Streber. Aber das klingt so abwertend. Sie sind einfach anders. Interessierter, wissenschaftlicher, akademischer. Und die intelligenten von früher sind auch heute sehr erfolgreich geworden. Keiner spricht über Geld oder Einkommen, aber ich bin mir sicher, dass die meisten, die hier gekommen sind, sehr gut verdienen und erfolgreich sind.
Und das finde ich gleichzeitig schade. Denn von denen, bei denen es nicht so gut gelaufen ist, hört man nichts.
Man hört und sieht nur die Schokoladenseite des Lebens, aber nicht die Enttäuschungen, Probleme oder negativen Erfahrungen.

Nur einer ist bereit, offen und ehrlich darüber Auskunft zu geben. Schon bei der Begrüßung fängt er damit an, was alles schlecht gelaufen ist. Er tut mir leid, ich würde ihn am liebsten umarmen und trösten. Ich sage ein paar Worte, spüre aber, dass sie nicht ausreichen, seinen tiefen Lebenskummer zu vertreiben.

Und wer sich heute fragen sollte, ob er je auf ein Klassentreffen gehen sollte- ganz gleich welches Schicksal er oder sie erlitten hat. Ganz gleich wie groß die Gefühle und die Enttäuschungen im Inneren so sind. Ich würde sagen, es lohnt sich.
Man sollte wenigstens eins im Leben machen.

Erinnerung

Passend dazu „Caribou Jamelia

Ordentlicher Betrieb und normaler Alltag
sind bei mir im Moment nicht möglich.

Die Gedanken fahren im Kreis und eine Fülle an Daten muss neuverarbeitet werden.
Sicher geglaubte Gewissheiten lösen sich im Strom der Erinnerungen auf.

Eine Therapie des Herzens
das Leben hat dich geküsst
du hast in den Abgrund geschaut
und neben Dir an der Beerdigung gestanden.

Hübsche und junge lächelnde Gesichter
soviel Liebe und Hoffnung allüberall
soviel Neuanfänge, soviele Pläne und Ideen
neues Leben und neue Beschlüsse.

Das alte muss weichen
die Trümmer sind endgültig weggeräumt
die Musik spielt dir den Rhythmus
die Vergangenheit ist nur ein Film.

Die Blockade hat sich gelöst
dahinter fließt freie Energie
ungehindert, kraftvoll, rein
wie frisch verliebt

und doch ist es nur das alte Leben – Dein Leben!
in dem wieder ein bisschen Sinn pulsiert.

Ich bin gegangen,
In Erinnerung an die Unterdrückten und nicht-gehörten
in Erinnerung an die im Leben, die es nicht geschafft haben.

an die, die geliebt werden wollen
und umarmt von allen
an die, die Hoffnung geben und Wärme spenden

an die mit der Verantwortung
die das Leben tragen
und entscheiden.

In Erinnerung an,
Die Starken, die was bewirken
die Schwachen, die feinsinnig sind
die Faulen, die im Grunde sehr intelligent sind
die großen, die innerlich klein sind
die kleinen, die so oft Größe beweisen

die Lustigen, die ernsthafte Gedanken haben
und die Ernsthaften mit dem Schalk im Nacken.

Ich denke an die, die man nicht gesehen hat
die besseres zu tun hatten
die nicht erinnert werden wollten,
die abgeschlossen haben

noch ist der Kreis klein
aber eines Tages gehören wir alle dazu.

Ein Sommerabend. in den Neunzigern

Lese-Tipp: Um den Text besser „empfinden“ zu können, unbedingt die verlinkte Musik dazu hören.

 

Ich stelle das Fahrrad ab und bin etwas aus der Puste von dem langen Weg zum freistehenden Haus im Wohngebiet. Das Haus ist ein quadratischer Kasten mit zwei Stockwerken. Das Grundstück ist recht klein. Ich war hier noch nie.
An der Wand vorm Haus stehen einige Fahrräder, daran erkenne ich, dass schon viele Besucher auf der Party sind. Die Räder stehen aneinander gelehnt und etwas durcheinander. Keiner hat es abgeschlossen. Zur Straße gibt es noch eine halbhohe Mauer und eine Gartentür. Ich erkenne sogar die einzelnen Räder wieder und kann ein paar den Personen zuordnen, mit denen ich jeden Tag zu tun habe. In dem Moment weiß ich nicht, ob ich mich freuen oder aufgeregt sein soll. Es ist so ein leichtes Kribbeln im Bauch, wenn man irgendwo neu ist und noch nicht alle kennt. Mit ein paar Leuten komme ich gut zurecht, andere wiederum mag ich gar nicht. Und so geht es den anderen auch. Manche loben mich, andere streiten mit mir, manche haben ihre eigenen Probleme, manche sind mitten im Umbruch. Es gibt die ersten Beziehungen, was immer noch was „Neues“ und ungewohntes ist. Aber es gibt auch noch viele Singles.

„Ein Sommerabend. in den Neunzigern“ weiterlesen

Gut integriert

Der Axt-Attentäter von Würzburg galt laut einhelligen Bekundungen der Online-Medien als „gut integriert“.

Als gut integriert wird dann folgende Aufzählung gegeben: Er reiste vor ca. zwei Jahren als unbegleiteter minderjähriger Jugendlicher nach Deutschland ein. Dann kam er erstmal in ein Kolping-Heim und ist wohl auch zur Schule gegangen. Weil dann seine Leistungen so gut waren und der Erfolg sich zeigte, wurde er vor ca. drei Wochen in eine Pflegefamilie überwiesen. Er hatte die Aussicht auf eine Bäckerlehre. (Quelle)

Das muss also den Medien und Politikern reichen, um eine Aussage über „gute Integration“ zu stellen.

Aber ich finde, „gute Integration“ ist viel mehr, als nur die äußeren Faktoren. Über dieses viel verwendete Wort „Integration“ muss endlich einmal geredet werden. Es ist sehr abstrakt und man kann sich darunter nur wenig vorstellen. Der Wikipedia-Artikel gibt einen ersten Überblick.  Auch hier stehen die äußeren Werte wie Sprache, Bildung, Arbeitsmarkt ganz vorne.

Ich mache es mir etwas einfacher und versuche, ein anschauliches Bild für das Wort „Integration“ zu finden:

Mal angenommen ich habe ganz viele rote Kugeln in einer Reihe (Deutsche) und in meiner Hand noch drei Grüne (Einwanderer). Meine Aufgabe ist nun, die grünen Kugeln in die Reihe der roten einzusortieren, so dass sie in die Reihe passen und nicht so auffallen. Nach erfolgreicher Einsortierung in die Kugel-Gesellschaft hab ich jetzt eine rote Kugel, eine grüne, dann wieder eine rote, usw. Dann hab ich einen Haufen mit ganz vielen roten Kugeln und in meiner Box hinter mir warten noch ein paar grüne Kugeln auf Einsortierung.

Werden die grünen Kugeln jetzt zu roten? Nicht so ohne weiteres. Ich müsste also die grünen Kugeln irgendwie anmalen. Vielleicht geht das nicht, weil die Farbe nicht haftet. Oder ich hab nicht genug Farbe. Oder die grünen Kugeln wollen grün bleiben. Vielleicht wollen auch die roten Kugeln nicht, dass soviele grüne Kugeln neben ihnen stehen und stoßen diese magnetisch ab.

Vielleicht hab ich noch ein größeres Problem, und nicht nur die Farbe ist unterschiedlich, sondern auch die Größe. Die roten Kugeln haben alle einen Durchmesser von 3 cm, die grünen Kugeln aber von 4 cm. D.h. sie ragen aus meiner Reihe heraus, auch wenn ich sie noch angemalt habe.

Aber müssen alle Kugeln denn rot werden? Ein paar erklären sich freiwillig bereit, sich selbst grün anzumalen. Und ein paar andere Kugeln vermischen sich mit den neuen und heraus kommt eine Mischung aus rot-grün. Diese sind am unauffälligsten in der Reihe und am schwierigsten zu erkennen. Sie sind also „gut integriert“. Allerdings dauert das ein paar Jahre. Und nicht alle roten Kugeln wollen sich mit den grünen verbinden.

Eine andere Idee zur Integration ist, dass ich noch andersfarbige Kugeln nehme. Ich nehme weiße, blaue, gelbe, lila und schwarze Kugeln und vermische sie mit den roten und grünen Kugeln. Dann hab ich eine Sammlung mit verschiedenen Farben und das ganze nennen wir dann „Multikulti“. Ich habe also keinen Anspruch mehr auf „Homogenität“, sondern akzeptiere die Verschiedenartigkeit meiner Kugel-Sammlung. Wiederum klappt das bei einigen Kugeln, aber andere Kugeln protestieren lautstark und wollen nur neben Kugeln ihrer eigenen Farbe liegen. Denn rote Kugeln haben immer neben roten Kugeln gelebt. Das war schon immer so und wird immer so bleiben! Auch die grünen Kugeln wollen lieber unter sich bleiben. Sie kennen eben ihresgleichen.. dort fühlen sie sich wohl. Stadtviertel, in denen ehemals grüne neben roten gewohnt haben, fangen an sich zu separieren. Die grünen ziehen auf einen Haufen, die roten ziehen weg. Und warum? Nur weil sie eine andere Farbe haben? Aber es sind doch alles Kugeln!

Ist dieses Bild ein guter Vergleich zur tatsächlichen Integration? Ich denke, die menschliche Integration ist noch viel komplexer. Zu einem gewissen Maß kann sich der menschliche Geist an neue Kulturen, neue Umstände und neue Begebenheiten anpassen. Die Kugeln können wirklich die Farbe ihres gegenüber annehmen. Oder zumindest akzeptieren, dass es verschiedene Farben gibt. Und dass diese monotone Mischung einer Farbe auch nicht die beste Lösung ist… Die Frage ist, wieviel „Integration“ wollen wir von den neuen? Was genau muss sich anpassen, wo soll eine „Integrationsleistung“ passieren?

Wenn sich Ausländer an unsere Gesellschaft anpassen sollen, was erwarten wir dann? Ich zähle mal auf, so wie es mir einfällt:

  • sie sollen unsere Sprache, also Deutsch lernen und sprechen
  • auch zu Hause soll Deutsch gesprochen werden
  • sie sollen unsere „freiheitliche-demokratische“ Grundordnung akzeptieren
  • sie sollen das Grundgesetz kennen und akzeptieren
  • es gibt eine Trennung von Religion und Staat, dies ist zu akzeptieren
  • wir haben eine Demokratie
  • Frauen und Männer sind gleichberechtigt, keiner ist mehr oder weniger wert
  • religiöse Symbole, wie z.B. Kopftuch sollen möglichst vermieden werden
  • Männer sollen auch einer deutschen Frau die Hand geben
  • die Neuen sollen arbeiten und einen Beitrag zur Gesellschaft beitragen
  • ihre Kinder sollen mal unsere Rente zahlen (= Beitrag zur Gesellschaft)
  • sich nur im Sozialsystem einzurichten, wird abgelehnt
  • sie sollen die deutschen Gesetze kennen und akzeptieren
  • Gewalt und Kriminalität wird nicht akzeptiert
  • wer sich nicht an die Regeln hält, muss damit rechnen, wieder abgeschoben zu werden

Aber Integration ist noch viel mehr. Beim Attentäter von Würzburg waren ja viele dieser äußeren Faktoren gegeben… dennoch wurde er zum Attentäter.
Wenn man davon ausgeht, dass er sich „blitz-radikalisiert“ hat und kein Schläfer war, muss man die Frage stellen: Warum?

Integration in eine Gesellschaft heißt ja auch „ankommen in einer Gesellschaft“. Man muss dort akzeptiert werden. Sich glücklich fühlen. Sich frei entfalten können und orientieren können. Nach diesen Maßstäben sind auch viele Deutsche nicht gut integriert. Arme Menschen oder kranke Menschen stehen oft am Rande der Gesellschaft.

Um integriert zu sein, muss man die Gesellschaft mit jeder Zelle des eigenen Körpers akzeptieren, aber auch lieben. Und man muss von der Gesellschaft geliebt und akzeptiert werden. Sich irgendwie „deutsch“ fühlen und sich auch zu den deutschen Werten bekennen. Gerne deutsch sein. Und die ganze eigene Vergangenheit abkapseln oder vergessen. Wo sind dann die Grenzen zwischen Assimilation und Integration?

Das ist sehr viel verlangt und bestimmt nicht von jedem zu leisten. Vor allem kostet so ein Vorgang unheimlich viel Zeit. Und es müssen sich wirklich Menschen mit ihrem ganzen Herzen und ihrer ganzen Liebe darum kümmern, dass diese Integration gelingt. Integration ist kein Selbstläufer und kein Automatismus, der sich von selbst einstellt. Es ist etwas, dass von Menschen aktiv und mit Nachdruck und viel Arbeit geleistet werden muss.

Wenn ein Kind ohne Eltern nach Deutschland kommt, dazu noch aus einer völlig anderen Kultur, ohne Halt, außer den staatlichen Stellen, was wird von diesem Kind denn alles verlangt?

Wie kann man als Kind in einem Heim „Halt“ finden? In dem es keine Privatsphäre gibt? Wo die Regeln von anderen gemacht werden? Wo erstmal alle eine fremde Sprache sprechen und aus einem fremden Kulturkreis kommen? Der Junge war vor dem Anschlag gerade einmal drei Wochen in seiner Pflegefamilie. Vielleicht gab es schon die ersten Konflikte… von denen die Medien nichts wissen. Aber wie kann man sich in drei Wochen „integrieren“? Wird man diese Familie je als die eigene sehen können? Vielleicht hat er die eigene Familie vermisst? Die eigenen Freunde, die er zurück gelassen hat.

Und dann der Beruf.. er war weit weg davon, wirklich zu arbeiten, wirklich ein Teil der Gesellschaft zu sein. Er hatte kein eigenes Geld, keine eigene Wohnung, keine Freundin, kein Auto, keine Autonomie, keine Selbstständigkeit. Er war auf das Gedeih und Verderb seiner Ziel-Gesellschaft und die Liebe seiner Umgebung angewiesen.

Er hatte die „Aussicht auf eine Bäckerlehre“. Das klingt mir wiederum so staatlich gewollt. In Deutschland will ja keiner mehr Bäcker werden, also nehmen wir doch die Flüchtlinge dazu, sie sind willkommene „Lückenbüßer“.

Vielleicht hat er überhaupt keine Ahnung von deutschem Brot? Wie soll er es da mit Liebe und Leidenschaft backen?
Vielleicht wäre er lieber Schlosser oder Elektriker oder KFZ-Mechaniker geworden? Oder Bank-Kaufmann?

Was verlangt die Gesellschaft von 17-Jährigen Jugendlichen… und was wiederum verlangen wir von der Gesellschaft und den staatlichen Institutionen?

Die Fragen der Integration gehen uns alle etwas an. Und schon beim ersten Blick auf die komplexe Thematik wird klar, dass es nicht einfach wird.

Das Gesichter-Buch

Wow, was für ein gut geschriebener Artikel über Facebook.

Ich geb zu, ich hab bis jetzt nur die ersten zwei Drittel gelesen, aber das was ich las, hat mir gut gefallen. Daumen hoch!

Wie ist meine persönliche Meinung zu Facebook? Der Gedanke drängt sich beim Lesen automatisch auf..

Ich hab es eigentlich nie besonders gemocht, fand es immer zu kompliziert und neuerdings die Werbung, die nervt mich auch.
Zudem misstraue ich dem ganzen, nicht erst seit der NSA-Affäre. Letztens gab´s im Fernsehen eine Reportage über einen Facebook-Server, da wurde mir erst bewusst, in welchen Dimensionen, die sich eigentlich bewegen. (so etwas ähnliches wie das hier ). Es ist eine riesige Maschine, die Daten aus uns heraus saugt und am Ende damit Geschäfte macht und an die Börse geht. Und wir sind die kleinen Computersklaven, die freiwillig mitarbeiten und den Profit erst ermöglichen. Die „Bezahlung“ ist, dass wir uns sozial geborgen und anerkannt fühlen, weil andere auf uns reagieren oder „gefällt mir“ klicken. Aus dem ur-eigenen und wichtigen Bedürfnis des Menschen nach Anerkennung haben schlaue Leute ein Milliarden-Geschäft gemacht. Das ist erstmal das wirklich kritische, die „dunkle Seite“ an all den sozialen Netzwerken. Die Frage ist also: Überwiegen die positiven Dinge, die man aus den Netzwerken zieht über die Gefahren und das Ausspioniert-Werden?

Natürlich, letztendlich kann nix von dem was man sagt, wirklich privat oder „sicher“ sein. Das ist sehr schade. Dennoch halte ich auch einen völligen Boykott für falsch. Man muss halt nur wissen, wie weit man gehen kann. Welche Dinge kann man von sich preisgeben und welche nicht? Ich denke es ist wichtig, sich selbst starke Grenzen aufzusetzen und selbst zu kontrollieren. Allerdings ist dann auch die Gefahr groß, dass der „Spaß“ verloren geht. Dass man zu selbst kontrolliert wird und gar nichts mehr schreibt. Seine Gefühle kontrolliert, weil man denkt, „das kann ja alles gespeichert werden“. Ich denke, der richtige Weg liegt darin, das Potential zu nutzen, sich mit anderen zu vernetzen und versuchen sein soziales Netz zu verbessern. Online wie offline. Dabei aber auch nicht vergessen, wie gläsern man dabei wird. Daher sind auch die klassischen Wege wichtig und wertvoll: Einen gut gepflegten Facebook-Kontakt mal im „echten Leben“ treffen. Generell kann man diese beiden Welten nicht wirklich voneinander trennen, sie werden immer stärker vermischt. Die Technik ist quasi schneller und stärker als unser freier Wille.
Wer das eine boykottiert, boykottiert und untergräbt damit auch das andere. Wer sich nicht traut, im Internet offen und ehrlich und unbeschwert zu sein, wird es im realen Kontakt auch nicht sein..

Denn wie hieß es da so schön in dem einen Artikel : „Gegenseitiges Vertrauen ist eine Sache der Intelligenz.“

Aber ein gesundes Misstrauen hat auch noch niemanden geschadet. 😉

( Sowie die Blogs. Vergesst die Blogs nicht. Hier man das meiste selbst in der Hand. Dezentral, von Privatperson zu Privatperson. Mehr Vertrauen geht nicht. Kein Unternehmen, das mitlauscht. Keiner, der mitverdient. Keine Werbung. )

In Freundschaften investieren

Warum sollte man schon in Freundschaften und Menschen investieren? Wo man doch in soviele andere Dinge investieren kann: In Gold, in Wertpapiere, in steigende Unternehmenkurse, in anziehende Lebensmittelpreise, auf den Absturz des Euro, auf teures Heizöl…

Freundschaften sind nichts greifbares- für die einen nur Gelaber, ohne Substanz. Alles ist schnell und hektisch geworden, die Investition auf der einen Seite, mit Zeit und Geld verbunden, was wird sie schon bringen? Die Unverbindlichkeit, Emanzipation und Freiheit, die in modernen Beziehungen so wichtig geworden ist, ist auf der anderen Seite auch der Fluch der konservativen Werte, des Erhalts von Beziehungen und der zwischenmenschlichen Verlässlichkeit. Und Freunde und Menschen bekommt man an jeder Straßenecke, in sozialen Netzwerken in rauen Mengen, beim Einkaufen im Supermarkt in so großer Anzahl, dass man manchmal lieber wieder einsam wäre…. dennoch gibt es über fünf Milliarden Menschen auf der Erde und man das Kunststück fertigbringen, mit keinem einzigen wirklich „befreundet“ zu sein.

Freundschaften sind doch so unverbindlich! Man kann sehr viel Zeit und Mühe hineinstecken, aber den anderen doch verlieren. Es gibt noch nicht einmal ein geregeltes Anrecht, keinen Freundschafts-Besitzschein, keine Glücklichsein-Erlaubniskarte, keine Läster-Lizenz…. die beste Schulfreundin, nun nach Amerika gezogen. Jahre verbracht, Stunden verbracht und nichts ist übrig geblieben, außer einer guten Erinnerung. Mit dem besten Freund um die Straßen gezogen, geweint, gelacht, das Herz ausgeschüttet, getrunken, gefeiert, gefürchtet und gefallen… nun ist alles vorbei, die Investition verloren!

Freundschaften kann man nicht besitzen, aber lohnt es sich dennoch, in sie zu investieren?

Was ist eigentlich der Wert einer guten Freundschaft?
Jemanden haben, wenn es einem schlecht geht? Jemand schreiben können, jemand der zuhört? Jemand, der Anteil nimmt, sich die Sorgen anhört und das Leben teilt?

Sich mitteilen, heißt teilen. Teilen macht frei, alles für sich behalten, macht einsam und geizig… Wer einen einzigen guten Freund hat, hat alles, wer nur Geld und sich selbst hat, hat nichts.

Eine Freundschaft hat genau dann einen Wert, wenn sie gelebt wird. Man kann eine Freundschaft nicht „haben“, aber in ihr „sein“. Eine Freundschaft besteht solange, wie man miteinander redet und etwas miteinander macht. Wird das eingestellt, ist auch der „Besitz“ weg, der eigentlich nie einer war.

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Um Moral in einer besonderen Form ging es auch bei der gestrigen Reportage „Schwarz auf Weiß“ auf Arte.

Sie zeigte den als besonders wandlungsfähigen bekannten Schriftsteller Günter Wallraff in einer neuen Rolle und zwar geschminkt und „angemalt“ als dunkelhäutiger Mensch mit ausgedachter, somalischer Herkunft.

Zuerst kam mir der Film wie ein Witz vor und ich dachte, dass die Leute entweder die Maske sofort erkennen würden oder sich keine Diskriminierungen ergeben würden, da Deutschland ja als Land inzwischen so tolerant geworden ist, dass Rassismus wohl kein Problem mehr sein wird. Aber damit weit gefehlt! Allein schon die dialektische Ausgangslage zeigt, dass Wallraff ein wirklich gutes Gespür für authentische Dokumentationen und gewagte Fragestellungen mit sich bringt.

Mit diesem Film hat er mal wieder voll ins „Schwarze“ getroffen. Gezeigt wurden unterschiedliche Szenen und Begebenheiten in ganz Deutschland, die er nun mit seiner neuen Identität als Kwami Ogonno versucht zu meistern.

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Diskussionskultur im Netz

Ich benutze das Internet schon recht lange und in verschiedenen Formen. Vor allem in Foren lese ich sehr gerne. Man bekommt dort vor allem zu den Themen Computer, Webdesign, Spiele, etc. sehr viele wertvolle Anregungen. Es ist witzig zu lesen, wie andere schreiben, was für Erfahrungen sie mit ihrem neusten Betriebssystem oder Grafikkarte gemacht haben. Gerade, wenn Jugendliche schreiben, merkt man ihre unterschiedliche Lebensanschauung.. bei Erwachsenen kommt dann oft dieses „knurrig-bissige“ durch, was alte Menschen in Deutschland anscheinend „auszeichnet“. Schön ist es dann, wenn die verschiedenen Generationen und Geschlechter aufeinander zugehen und sich austauschen, aber auf Grund der Thematiken bilden sich oft eigene, streng abgegrenzte „Peergroups“. Die einen wollen dann mit den anderen nichts zu tun haben, es ist nach Geschlechtern, Alter und Bildung scharf getrennt und das Internet überwindet hier nur langsam die hohen sozialen Mauern aus dem „reallife“.

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Ohne Dich – Teil 2

Einsamkeitsgefühle als Chance

Im ersten Teil meiner „Geschichte“ habe ich Einsamkeit als Problem beschrieben, als Mangel, als allgemeines Unwohlsein, als Unvollkommenheit, durch dass sich früher oder später die Einsicht nach Veränderung breit macht. Egal, wohin wir schauen, Einsamkeit ist genauso wie Krankheit, Alter, Depression, Armut – ein unbeliebtes Zeichen von Mangel und Schwäche und etwas, dass nicht in unseren Zeitgeist mit den spezifischen Anforderungen nach polierter Oberfläche und Leistung passt. Im Allgemeinen sollen wir unsere Leistung präsentieren: Männer sollen viel verdienen und möglichst wenig Krankheitstage haben. Frauen sollen über ihre Doppelbelastung bitte nur lächeln und als perfekte, aufopferungsfähige Mütter leben. Jammern ist nicht erlaubt in dieser Gesellschaft. Wer jammert oder klagt, ist raus aus dem Spiel.

Daher wollen wir Einsamkeit um jeden Preis vermeiden, wir fühlen ja, dass es eine Schwäche ist, die man lieber verbirgt. Ohne je wirklich über die Bedeutung der Einsamkeit oder die Rolle der Entfremdung des modernen Menschen in einer (bisweilen kranken) Zivilisation nachzudenken, schämen wir uns vielleicht für die Einsamkeit und denken heimlich, dass es allein unsere Schuld ist.

Solche Gedanken führen aber zwangsläufig in eine größere Depression, vor allem wenn man sie nicht aktiv verarbeitet, sondern ständig verdrängt. Ich denke, dass in der Einsamkeit auch eine Chance liegen kann und sie nicht per se nur als Mangel anzusehen ist. Wer diesen Schritt gedanklich durchlaufen kann, kommt einen großen Schritt im inneren Reifungsprozess vorwärts. ((im Idealfall kann man diese psychologische Entwicklung mit einer religiösen Weltanschauung kombinieren; das ist einerseits hilfreich um die Motivation der Übung aufrecht zu erhalten und gibt darüberhinaus ein gutes Verständnis für die Gesamtheit der Existenz))

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