Eine Insel

Über Lost hatte ich ja im (mittlerweile geschlossenen) Medienblog schon einen Bericht geschrieben. In der Zwischenzeit wird es einfach mal wieder Zeit für eine kurze Wasserstandsmeldung über diese phantastische Serie.

Auch heute noch, bereits in der fünften u. vorletzten Staffel angekommen, hat die Fernsehsendung nichts an ihrer Attraktivität eingebüßt. Und sie schafft es mich immer noch zu fesseln, obwohl ich alles andere als ein Serienfan bin. Bis jetzt habe ich jede Folge, bis auf ein paar ganz wenige (die Opfer der Freizeit oder der fehlerhaften Rekorder-Programmierung geworden sind), gesehen. Das hat eigentlich sonst nur die Startrek: Next Generation-Reihe geschafft.

Die ganzen Krimiserien, die mittlerweile die privaten Kanäle überschwemmen, oder die x Dokusoaps im Vorabendprogramm mit den immer gleichen Abläufen, selbst die allerneusten Tatort-Produktionen kommen meist so bieder daher, dass ich sie alle für Lost in ihrem einsamen und monotonen Fernsehregal stehen lasse.

Was aber macht diese Serie so faszinierend? Ich finde, neben der hervorragenden Spannung, die ständig erzeugt wird, ist es vor allem die Art der Erzählweise und die sehr intelligente und komplexe Verstrickung von Handlungsfäden. Soviel Sprünge, aber soviel innere Logik besitzt keine andere Serie. Gerade in der neusten Staffel hat man es vermehrt mit Zeitsprüngen zu tun (ein Phänomen, was von der Insel selbst verursacht wird), was ich am Anfang etwas überzogen und doch arg unlogisch empfand. In der Serie selbst ist es aber recht gut umgesetzt und die Darsteller selbst machen sich auch auf teils ironische Art und Weise darüber Gedanken, wo sie denn jetzt genau in der Zeit stehen oder was passieren wird, wenn sie die Vergangenheit ändern, in der sie durch einen „Zufall“ hineingeraten sind. Die Folge ist, dass man als Zuschauer mit fiebert und mitdenkt und immer eng am Geschehen auf der Leinwand ist und sich im Kopf sehr viel abspielt.

Die andere große Stärke von Lost ist die Charakterisierung und die Psychologie der einzelnen Personen. Soviel Mut zu extremen Verhaltensweisen, zu besonderen Charakteren, soviel Thematik über Liebe, Vertrauen, Verrat, usw. sucht man sonst nur in Spielfilmen und selbst da manchmal vergebens. Die ausgesuchten Schauspieler schaffen es fast alle durch die Bank weg zu glänzen und die Rollen sind den meisten sehr gut auf den Leib geschneidert.

Vor allem der Mut, gegensätzliche Charaktere im Drehbuch auszuformen und diese dann mit sehr guten schauspielerischen Leistungen zum Leben zu erwecken, macht die Stärke jeder Fernseh-Produktion aus.

Nehmen wir z.B. den stets sehr korrekten, moralisch überlegenden Arzt Jack, der einst der Anführer der Gruppe gewesen ist. Obwohl er immer so überzeugend und intelligent wirkte, hat man in der aktuellen, fünften Staffel das erste Mal den Eindruck, dass sein einst so festes Glaubenskonzept Risse bekommt und trifft auch schon mal unpopuläre Entscheidungen und er wirkt irgendwie „zickiger“ als in den anderen Teilen. Dieser Wandel seiner Person ist sehr gut gelungen. Kein Wunder, denn sein einstiger Rivale Sawyer, der immer die zweite Geige spielen musste und auch bei Kate (der anderen Hauptfigur) meistens schlechter da stand, ist mittlerweile selbst im Rang aufgestiegen und hat nun wesentlich mehr Macht und Verantwortung als noch in den ersten Staffeln.

Von seiner einstigen Liebe Kate hat er sich losgelöst und ist nun mit der attraktiven Ärztin Juliet verbandelt. Wie jetzt seine ehemalige Freundin darauf reagiert und wie auch die Frauen untereinander darüber reden, all diese Details (die so auch im echten Leben auftreten könnten) wurden berücksichtigt und integriert.

Oder die zwielichtige, böse Figur „Ben“, über den ich heute immer noch rätsle und der seine wahren Motivie nie ganz offenbart. Sein Lächeln ist immer so hübsch oberflächlich und allein an der Mimik zu erraten, was er wirklich denkt, ist nahezu unmöglich. Denkt man im einen Augenblick, dass es doch eigentlich ein netter Kerl ist, zeigt er in der nächsten Szene schon wieder ganz andere Verhaltensweisen, die das Gewissen des Zuschauers regelrecht durcheinander wirbeln!

Auch alle anderen Nebencharaktere, z.B. der dicke, lustige Hurley, die charmante und immer etwas zurückhaltende Sun oder ihr verbohrter Mann Jin tragen zur Kontinuität und dem hohen, inneren Realismus von Lost bei.

Vom menschlichen und psychologischen Standpunkt aus gesehen hat diese Serie eine hohe Detaildichte und eine stets scharfe, spannende Erzählweise. Aber auch der Abenteuer-und Action-Fan wird stets bedient. Langatmige Passagen, in denen überhaupt nichts passiert oder nur der ewige, nörglerische Büroalltag rezitiert wird, den Zuschauer sowieso schon zu Genüge kennen (wie im Tatort) sucht man hier vergebens.

Die Akteure schrecken nicht davor zurück, auch mal ihre Waffen sprechen zu lassen oder verbale Gewalt einzusetzen, viel Blut fließt aber selten. Meistens beschränken sich die Aggressionen auf unausweichliche Konflikte und sind durch die Extreme der Situation mit verursacht. Mit ein wenig Dialog und Reden werden dann die Knoten zwischen den Personen schnell wieder entschlüsselt. Wirklich brutale Mörder gibt es eher selten.

An der Serie bewundere ich insgesamt vor allem ihren Mut zur Neuheit und zur Innovation. Etwas vergleichbares hat man bis dahin einfach noch nicht gehabt und das ist im täglichen, ausgelutschten Fernseh-Allerlei wirklich eine Wohltat.

Sicherlich hat die einst so glänzende Serie mittlerweile auch ihre ersten Kratzer auf dem Lack, aber über die meisten kann man hinwegsehen:

Die ständige Pflicht zu Sprüngen, beispielsweise, die manchmal etwas ermüdend und künstlich wirkt oder dass man so viele Rätsel einfach offen lässt, ohne sie zu beantworten. Nur, damit der Zuschauer wieder einschaltet?

Oder: Am Anfang der Serie hat man noch sehr auf den logischen Rahmen geachtet, der die Mystery-Elemente noch kontrastreicher hervorbrachte, mittlerweile angelt man sehr im Zauberkasten der Film-Phantasie.

Das alles aber sind Kleinigkeiten, die dem Einschaltvergnügen kaum was entgegen setzen können.

Die Serie Lost, eine mehr als gelungene, innovative, mutige Produktion aus den USA, die mich auch in Deutschland schwer begeistert.

4 Gedanken zu „Eine Insel“

  1. Jetzt hast Du es geschafft, mich neugierig zu machen. Und da es die Staffeln ja auf DVD gibt, werde ich mir die erste nun wohl einmal zulegen. Na Bravo 😉 Bisher habe ich noch nicht eine Folge gesehen. Ich sollte das Lesen hier einstellen … 🙂

  2. ich kann es dir nur sehr empfehlen, wirklich.

    Aber letztendlich ist der Fernsehgeschmack subjektiv geprägt. Wenn du auf Abenteuer, Action, Mystery und Psychologie stehst, dann ist Lost genau das Richtige. 😉

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