Haben oder Sein?

Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut dieser Klassiker auf unsere heutige Zeit passt- und der fromme Wunsch von Erich, dass sich schon bald etwas zum Guten wendet und die junge Generation (der siebziger Jahre) es vermag, Veränderungen in den materiellen/ seelischen Bereichen herbeizuführen sind leider (noch) nicht eingetroffen.

Das Buch, dass ich auszugsweise, quer und immer mal wieder lese, ist eine komplexe Antwort auf einen ganzen Lebensstil. Es ermöglicht, diesen Lebensstil des „Habens“ überhaupt zu erkennen. Es mag eine Grundlage sein, für die vielen Konsumkritiker und neuerdings „Bank/ Managerkritiker“ der Neuzeit, aber es ist nicht vollständig und es ist nicht der Weisheit letzter Schluss.

Fromm beschreibt z.B. nicht ausführlich genug, worin die Verführungen des Habens-Typus genau liegen und warum soviele Menschen anfällig für diesen Lebensstil sind. Auch die genetischen, psychologischen Grundlagen für das Anhäufen von Dingen vermisse ich ein wenig.

Das Haben an sich und ohne jegliche Argumente zu kritisieren, wäre so, als ob man einen Durstigen für das Trinken verurteilt oder dem Hungrigen das Essen wegnimmt: Es gibt natürliche Bedürfnisse nach Dingen, die nicht abzustreiten sind. Dinge sind wichtig für das Leben und es ist eine soziale Ungerechtigkeit, dass sie so ungerecht verteilt sind und sich die Lebensentwürfe (auf Grund der ungerechten Verteilung von Geld, Besitz und Kapital) so sehr unterscheiden. Nicht das Haben an sich ist schlecht, sondern wie wir damit umgehen.

Aus der falschen Einstellung zum Haben herausfinden kann man nur, wenn man einhundertprozentig davon überzeugt ist, dass der Weg des materiellen (wie man ihn jetzt lebt) nur ein falscher sein kann.

Die Buddhisten würden sagen, dass das Mittlere der beste Weg ist, dass Überfluss, aber auch Armut nicht zu Glück führen können.

In unserer Gesellschaft ist es sicherlich so, dass das „Haben“ überwiegt, das die ganze Sphäre der Erlebnisse immer mehr davon durchzeichnet wird und das „Sein“ und somit auch das Menschliche zurückgedrängt wird. Aber es sind nicht nur Fabriken, sondern eben auch die Konsumenten, Passive, Ohnmächtige, Ausgelieferte und Mitläufer des Systems. Die Fabriken würden nicht laufen, wenn nicht wir- die Käufer- mit viel Geld die ständigen Anreize für neue Produkte und Herstellungsprozesse geben würden.

Die Schere des Konsums scheint uns allesamt fest im Griff zu haben: Kein Gang in die Stadt, ohne mit Geld und Preisschildern konfrontiert zu werden, kein Gespräch mit Verwandten oder Freunden, dass nicht zum Thema „Preise“ oder „Euro“ kommt. Kein schönes Leben ohne Geld, kein Überleben ohne bezahlten Beruf. Jeder Schritt meines Lebens, ob der morgendliche Luxus mit Kaffeemaschine, der Feierabend mit dem Computer und der Urlaub unter Palmen ist ein materieller Schritt. Ohne Geld kann man (fast) nicht leben.

Was übrig bleibt von der Gesellschafts-Masse sind einsame Künstler und absolute Außenseiter, die mit ihrem langen Bart auf einer einsamen Insel leben. Aber sind diese ausreichend, um die Gesellschaft zu verändern? Wenn sie nur außen stehen und die Gesellschaft nicht durchtränken, sondern gleichsam von ihr isoliert werden?

In der Jugend kann man vielleicht so (besitzlos) leben, aber je älter man wird, desto stärker ist der Einfluss des Habens-Typus in der unmittelbaren Umgebung und je enger ist das damit aufgezwungene Korsett, dass wir uns anziehen (müssen).

Wo soll man ansetzen, wenn man zumindest den Kern des Buches für bare Münze hält und ihn umsetzen möchte?

Ich denke, die Essenz des Buches deutet darauf hin, mit dem „Haben“ richtig umzugehen. Überhaupt mal zu hinterfragen, wie sehr und ob der eigene Sinn des Lebens im Anhäufen und Kaufen von Dingen besteht- und ob es darüberhinaus noch andere Konzepte und Lebensentwürfe gibt. Wie sehr wird man von anderen Menschen beeinflusst und wie kann man dagegen steuern?

Wieviel Besitz brauche ich und wann ist Schluss? Wann macht mein Besitz Sinn und was davon ist Überfluss und Verschwendung? Ab wann kann ich meinen Besitz mit anderen teilen und möchte ich das überhaupt?

Aber auch: Kauf von umweltschonenen Produkten und Einkaufen mit Köpfchen, kontra bloße Verschwendungssucht!

Konsum bedeutet letztendlich nichts anderes, als Belastung der Natur und Verschwendung von Energie. Alles muss über Straße transportiert werden, wir machen uns oft nicht klar, wie aufwändig und ressourcenbelastend unser Lebensstil ist.

Schlimm wird der Konsum und das Besitzdenken dann, wenn er sich auf andere Menschen ausweitet: Der Fabrikbesitzer besitzt seine Arbeiter, der Geldgeber lenkt mit seinem Geld die Geschicke, der Staat verteilt „unser Geld“ (das ihm eigentlich nicht gehört), der Ehemann besitzt „seine Frau“, die Frau besitzt „ihre Kinder“. Jede dieser Konstellationen ist von Eigeninteressen motiviert und somit anfällig für Leid und Ungerechtigkeit.

Habgier führt zu niederen Emotionen, diese zu Streit und Streit im Großen zu Krieg. Wenn wir mehr verzichten könnten, würden wir den Weg zu Freiheit und Frieden ebnen. Das ist auch der Sinn der buddhistischen (oder christlichen) Askese: Verzichten macht frei.

Ein anderer Fall ist das Besitzen von Freunden und „Kontakten“, dass sich vor allem in der modernen Web 2.0- Welt sehr deutlich zeigt: Ich kommentiere nur bei anderen, wenn er bei mir kommentiert, die Freundschaft und Beziehung ist also eine vom Handel und Wirtschaftsdenken geprägte, aber keine auf Basis von echtem Mitgefühl und Vertrauen! Oder ich kommentiere bei anderen, um meinen eigenen Link zu präsentieren (ich spamme also Werbung).

Es ist sehr schwer Menschen zu finden, die vor allem im mitmenschlichen Bereich frei von Besitzdenken sind und ohne Eifersucht, Hintergedanken oder sonstige Dünkel „Freunde“ sein können.

Hier nur das bloße Sein entgegenzusetzen und sich jeglicher Habsucht, aber auch dem Besitzt-Werden zu widersetzen, mag der richtige Ansatz sein!

Der Konsum und der Besitz ist unser moderner Glaube- und kaum jemand zweifelt ihn an. Ja, wir haben uns sehr daran gewöhnt, dass das Buch „Haben oder Sein“ ein erster geistiger Schritt in eine andere Welt sein kann.

(Sponsored by ihre Ethik-Beauftragte) 🙂

2 Gedanken zu „Haben oder Sein?“

  1. Zitat: „kein Gespräch mit Verwandten oder Freunden, dass nicht zum Thema “Preise” oder “Euro” kommt.“

    Nun, Verwandte kann man sich nicht aussuchen …

    Zitat: „Aber auch: Kauf von umweltschonenen Produkten“

    Weil die in der Regel aber teurer sind, muss man mehr Geld besitzen um sie sich leisten zu können. Man konterkariert damit im Prinzip seine guten Absichten. Denn damit ich mir Bio-Produkte kaufen kann (ich kaufe NUR solche), muss ich mehr Geld verdienen, HABE also mehr als ich bei Aldi brauche! Doch SO meine der gute Erich das sicher nicht.

    Nun, ich kommentiere hier ohne Arg und eigene (Werbe-) Absichten. Es gibt sie also, die Menschen, die nicht immer über „Kosten“ und „Euro“ sprechen und nur Dinge tun, die ihnen etwas bringen. Sie sind nur selten! In diesem Sinne, einen „Frommen“ Abend 😉

  2. Sicherlich, @ Geheimrat, du magst eine löbliche Ausnahme sein. 😉 Daher danke ich auch für deine Existenz und die Zeit, die du dir zum Kommentieren und Schreiben nimmst.

    Was ich gut finde, ist der Punkt mit den umweltschonenden Produkten: Tatsächlich ist es schwer, einen anderen, einen „richtigeren“ Weg zu gehen- aber wer weiß, vielleicht ist es langfristig der Beste? Oder man hat zumindest ein gutes Gewissen bei dem, was man tut? (Immer etwas schwierig für die gute Sache Werbung zu machen, aber auch spannend und herausfordernd!)

    Bei den Solarzellen z.B. hat am Anfang auch keiner geglaubt, dass sie mal „was bringen“, aber inzwischen will sie jeder und die Allgemeinheit akzeptiert und schätzt sie als sinnvolles und zukunftweisendes Produkt.

    Na, wenn das mal keine gute Lösung ist. 😉 (Leider nur eine von vielen… notwendigen)

    mfg, Julia

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