Zimmer 26

Passender Song zum Lesen: It´s no good von Depeche Mode

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Und, was ist jetzt mit dieser Verrückten auf Zimmer 26?“ wollte der Assistenzarzt wissen.

„Ach der geht es schon wieder ganz gut“, antwortete der Chefarzt der Neurologie, streifte sich die Einweghandschuhe von den braungebrannten und muskulösen Armen und schmiss sie mit einer geübten Handbewegung in den großen Mülleimer an der Wand, der mit einem Plastikbeutel ausgekleidet war.

„Sie simuliert mal wieder, wie üblich. Sie hat gemeint, dass sie mich lieben würde, aber ich glaube ihr kein Wort. Diese Tusse ist doch bis obenhin voll mit Medikamenten und Drogen, das wird Wochen brauchen, bis wir sie wieder clean haben. Und wer weiß, am Ende tut sie sich noch was an. Hast du die Kratzer und Narben an ihren Unterarmen gesehen? Das ist das was ich meine.“

„Achja..“ der Assistent nickte und dachte kurz nach, „das ist mir auch schon aufgefallen.“

„Siehst du. Aber sie ist eigentlich eine ganz nette, man kann mit ihr reden, wenn man will. Und wenn sie will. Leider will sie nicht sehr oft. Ich habe mal versucht, mir ihre Vorgeschichte anzuhören, aber ich glaube, das wird unsere Psychologin besser können. Es ist einfach zu kraus, da stehen mir die Haare zu Berge!“ Er lächelte etwas bei dem Gedanken. Von dem was sie ihm bis jetzt erzählt hatte, hatte er wirklich kein Wort verstanden. Er versuchte sich zwar auf die emotionalen Betonungen zu konzentrieren, aber sie vermischte ihre Gefühle immer derart mit übertriebenen und bunten Formulierungen, bewegte sich munter in der Zeit, und scheinbar auch im Ort auf und ab. Wenn das ein Zeichen für ihren mentalen Zustand war, dann war es kein guter..

„Was Drogen alles anrichten können“ er schüttelte den Kopf und ging erstmal auf den Balkon am Ende des Krankenhaus-Flures, um eine zu rauchen.

Die Sonne senkte sich langsam über den Horizont und verwandelte das klare Blau in ein zartes Orange. Er wartete noch ein wenig und genoss die frische Luft, die hier weit über den Dächern herrschte. Nur das monotone Surren der Belüftungsanlagen und die gelegentlichen hinaufklingenden Schreie der Patienten aus der „Notfallstation“ erinnerte ihn an den unangenehmen Teil seiner Arbeit.

Am Himmel, weit über ihm, flog ein Düsenflugzeug und zog einen hellen, gediegenen Streifen hinter sich her. „Achja, in den Urlaub fliegen, das wäre auch mal wieder was“ dachte er und ärgerte sich darüber, dass gerade die Nachtschicht begonnen hatte.

„Das kann ja was werden. Und dann mit dieser Patientin. Hoffentlich schläft sie bald ein. Hm, wir haben doch bestimmt was da..“

Er ging den langen Gang zurück zu seinem Büro. Gerade als er die wuchtige Tür geschlossen hatte und am Schreibtisch vorm Fenster Platz nehmen wollte, spürte er einen Atem in seinem Nacken. Es war die Patientin aus Zimmer 26. „Hi Doktor“ lächelte sie ihn an. „Ich fühle mich so alleine und da habe ich gedacht…“

„Was machen SIE hier? Wie kommen sie hier rein? Sie sollten doch eigentlich auf ihrem Zimmer liegen?“

„Ich hab ihnen doch gesagt, dass ich mich einsam fühle.. Doktor!“ und dabei betonte sie das Doktor sehr lasziv und versuchte ihn mit ihren dunklen Wimpern anzuflirten.

„Raus!“ seine Stimme wurde herrisch und die Röte stieg ihm ins Gesicht.
„Ach kommen sie, nicht so verkampft…Doktorchen..“

„Mir langt es jetzt. Sie gehen sofort auf ihr Zimmer zurück. Wir sind nicht zum Spaß hier! Also ich bestimmt nicht, sie vielleicht!“
„Och wirklich nicht..“ die junge Frau zog das obere Ende des pinkfarbenen Pyjamas über ihre Schulter und entblößte ein Teil ihres jugendlichen Dekolleté’s.

„Arg!“ Der Doktor wusste das erste Mal seit langem nicht, was er machen sollte. Das war wieder so ein Fall, den man an der Uni nicht lernte. Man lernte alles mögliche: Spritzen geben, Medikamente und Inhaltsstoffe, pathologische Krankheitsbilder, usw. aber wie man sich aus menschlichen und unangenehmen Situationen heraushalten kann, ohne die Fassung zu verlieren, dass hatte er bis heute noch nicht richtig im Griff. Natürlich fand er die Frau attraktiv, aber sie war seine Patientin. Unter keinen Umständen durfte er sich auf sie einlassen!

„Vielleicht hab ich auch den falschen Beruf gewählt“ machte er sich innerlich Vorwürfe „vielleicht hätte ich doch bei der Chirurgie bleiben sollen, da schnippelt man nur hier und da und gut ist“.

„Was ist jetzt?“ Sie lächelte ihn immer noch an. Weil er nicht reagierte, ging sie ein wenig durch sein Büro und betrachtete die vielen Bücher, die da in den Regalen standen. „Sie müssen ein schlauer Mensch sein, Doktor.. sie lesen viel“.

„Hmja.“ er sagte nicht viel und beobachte sie nur. „Einsperren? Zwangsjacke? Den Wachdienst rufen?“ dachte er und grübelte vor sich hin.

„Warum sind sie so still, Doktor? Wollen sie nicht mit mir reden? Ich bin extra zu ihnen gekommen, da unten in meinem Zimmer ist es einfach zuu langweilig. Erzählen sie mir was von sich, von ihrem Leben. Sind sie verheiratet?“

Der Doktor sagte nichts und dachte nach. Er war verheiratet, aber das ging die junge Patientin eigentlich überhaupt nichts an. Und er befürchtete, dass sie sich über ihn lustig oder in eine unangenehme Situation bringen würde, also schwieg er nur und versuchte sie abzuwimmeln. „Wissen sie, ob ich verheiratet bin oder nicht, das ist doch egal“

„Nein mir ist es nicht egal“ entgegnete sie bockig. „Überhaupt nicht egal!“ und schmollte.

„Argh, jetzt hab ich sie beleidigt“ dachte er sich. „Es ist wohl das Beste, ich gebe ihr eine Spritze und dann legen wir sie in ihr Bett. Sie sieht müde aus. Und dieses Zeug in ihrem Körper braucht ewig, bis es draußen ist.“

In der Zwischenzeit hatte sie sich mitten auf den Boden in den Schneidersitz gesetzt, beobachte weiterhin angestrengt seine Bücher und kniff dabei hin und wieder die Augen zu, um die Titel besser lesen zu können. „Schizo…dings Angst-Syn.., No-t-fall-Am-bu-lanz“ buchstabierte sie langsam, dabei übersprang sie die schwierigen Titel und gluckste jedesmal albern.

Nach ein paar Minuten des gegenseitigen Schweigens, stand der Arzt von seinem Stuhl auf, ging ein paar Schritte auf sie zu und schaute ihr fest in die Augen:
„Frau P. ich mache ihn jetzt einen Vorschlag. Ich gebe ihnen eine Spritze und sie gehen ganz lieb und nett wieder auf ihr Zimmer und später reden wir noch ein bisschen okay?“

„Au fein, ja“ sie klatschte in die Hände und strahlte „Was denn für eine Spritze?“
„etwas, mit dem sie besser schlafen können“ sagte er und ging zu dem Schrank am anderen Ende des Büros mit dem grünen Kreuz drauf. Er holte eine Einweg-Spritze, fummelte sie mit etwas zittrigen Händen aus der Verpackung, öffnete eine Ampulle und sog die Spritze ein paar Millimeter auf. „15 ml, das muss reichen, nicht, dass sie mir noch umkippt.“

„So und jetzt bitte, die Hose etwas herunter.“ Die Frau befolgte sofort seinen Befehl. „Hier auf ihrem Schreibtisch?“

„Nein!“ sagte er ärgerlich „einfach nur ein wenig die Hose herunter, damit ich ihnen einen Pieks geben kann“.
„Achso.. und das tut bestimmt nicht weh?“

„Ne-ei-n.“
Er zielte kurz mit der Spritze, holte aus dem Unterarm Schwung und versenkte die Nadel in ihrem glatten und völlig haarlosen Po.
„So, das war´s schon, kann ein bisschen brennen, aber das haben wir gleich“ sagte er und klebte noch ein kleines Pflaster auf die Einstichstelle.

„Oh das ist gut“ sagte die junge Frau „sehr gut.“ Gerade als er die Tür öffnen wollte und sie in ihr Zimmer bringen wollte, verdrehten sich ihre Augen nach oben. Ihre Beine sackten fast gleichzeitig zusammen und die zarte Gestalt, die keine 50 kg wog, fiel ihm bewusstlos in die Arme.

„Frauen..“ dachte der Arzt sich spöttisch und seufzte „Mit Frauen hat man nur Probleme!“

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